■ Kettenabschiebung armenischer Flüchtlinge – Station Brest
: Die abgeschobene Verantwortung

Wie sicher sind die „sicheren Drittstaaten“? Haben die aus Deutschland abgeschobenen Asylbewerber in diesen Ländern eine Chance, daß ihr Asylantrag nach rechtsstaatlichen Kriterien bearbeitet und entschieden wird? Wer die Praxis kennt, wird die Frage als naiv abtun. Schließlich ist die ganze Regelung erfunden worden, um „bei uns“ den Schein zu wahren. Die ostmitteleuropäischen „Drittstaaten“ – und nur auf sie kam es an – waren von vornherein ausersehen, nur das erste Glied der Abschiebekette zu bilden. Sie haben das gewußt, akzeptiert, sich ihre Zustimmung abkaufen lassen und handeln jetzt entsprechend.

Wer als Asylbewerber aus Deutschland in den sicheren Drittstaat Polen zurückgeschickt wird, erhält dort einen Paßvermerk, der seinen Aufenthalt auf höchstens eine Woche beschränkt. Bleibt er, so kann er als Illegaler ohne weitere Umstände Richtung Osten oder Süden ausgewiesen werden – ins nächste „Kettenglied“. Die zwischen Polen und Deutschland für die Asylsuchenden vereinbarte Möglichkeit, bei einem Aufenthalt unter sechs Monaten in Deutschland ein Asylverfahren in Polen zu beantragen, hat keine praktische Bedeutung. Die polnischen Flüchtlingszentren sind für Menschen reserviert, die erstmals in Polen um Asyl bitten. Das – rechtsstaatlich einwandfreie – Anerkennungsverfahren ist nur für letztere Gruppe relevant.

Die aus der Vechtaer Haft via Polen nach Brest abgeschobenen Armenier sind deshalb nicht das Opfer bedauerlicher, aber untypischer Behördenwillkür. An ihnen wurde der Regelfall durchexerziert. „Ein System organisierter Verantwortungslosigkeit“ nennt „Pro Asyl“ diese Praxis. Ein solches System aber ist unvereinbar mit dem Grundgesetz und mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik.

Das Bundesverfassungsgericht wird über eine Reihe von Verfassungsbeschwerden entscheiden, die die Klausel der „sicheren Drittstaaten“ angreifen. Im Kern argumentieren die Beschwerdeführer, die deutschen Behörden seien weder willens noch in der Lage zu verhindern, daß Asylsuchende nicht doch in den Händen derer landen, vor deren „Zugriff“ sie geflohen sind. Wenn das Prinzip des non refoulment ernst genommen wird – es verbietet die Auslieferung von Flüchtlingen an Staaten, in denen sie vor Verfolgung nicht sicher sind –, dann kann der Ausgang der Verfassungsbeschwerden nicht zweifelhaft sein. Christian Semler