Sie sagten „ich“ und „du“

Einer wie er beruhigte einen einfach dadurch, daß es ihn gab – der 33jährige Schriftsteller Thomas Strittmatter ist in Berlin gestorben  ■ Von Petra Kohse

Thomas Strittmatter? „Thomas Strittmatter, einer der vielversprechenden Autoren seiner Generation, ist völlig überraschend am Dienstag in Berlin im Alter von 33 Jahren an Herzversagen gestorben.“ So steht es bei dpa. Werner Schwab war wenig älter, als er in der Silvesternacht 1993/94 seine Leber endgültig für sinnlos erklärte, doch er, der Brennende, erfüllte mit seinem Tod irgendwie ja seinen eigenen verzweifelten Lebensentwurf als Popdramatiker.

Und Strittmatter? Ein eher Zarter, der zu Pausbacken neigte, dessen Lebensweise nicht für Schlagzeilen taugte, der als 22jähriger mit seinem (eigentlich als Hörspiel konzipierten) Stück „Viehjud Levi“ vielbeachtet, aber ohne Paukenschlag als Dramatiker debütierte, dessen Stücke in Stuttgart oder Bielefeld uraufgeführt wurden, der fürs Fernsehen arbeitete, der mit Jan Schütte Filme machte („Winckelmanns Reisen“), der Landespreise für Volkstheater und Literaturpreise erhielt und nach Klagenfurt eingeladen wurde – der kurz gesagt auf bodenständige Weise erfolgreich war?

Einer, der einen – nur wenig älter als man selbst – beruhigte, einfach dadurch, daß es ihn als ewig jungen Stückeschreiber gab und er gelegentlich in Zeitschriften abgebildet wurde.

Einer, dessen Figuren sich selbst zwar fast ebenso fremd gegenüberstanden wie die Schwab-Figuren und ihre Sätze wie Kleidungsstücke um sich herumtrugen, die aber doch immerhin „ich“ und „du“ sagten.

So einer aus dem Schwarzwald, aus St. Georgen, bei dem eheliche Erotik ebenso kläglich davonkam wie bei Altvater Franz Xaver Kroetz, so einer, der über Polizisten und Türken ohne apokalyptischen Unterton zu schreiben imstande war („Untertier“, 1991), der aber doch – mindestens in Nebensätzen – unter dem Gewicht der deutschen Geschichte und überhaupt der Zivilisation ächzte, aber nicht wirklich peinlich, eher traurig und oft genug treffend.

„Polenweiher“ (1984), „Kaiserwalzer“ (1986). Auch wenn er explizit in die Geschichte abtauchte, kam Strittmatter ohne große Gesten aus. In „Viehjud Levi“ zeigt er, wie sich die ökonomischen Umstände verändern, deren Opfer alle werden. Alle? Thomas Strittmatter stellte Fragen. So ist es. Muß es so sein?

Zeitgenössische Volksstücke zu schreiben ist heute nicht einfach. Zwischen Klein- und Geldbürgertum verlaufen die Grenzen anders als zu Ödön von Horv áths Zeiten, der Sozialkitsch lauert im Sozialstaat überall. Strittmatters Sprache war nicht wirklich heutig und doch ein kunstvoller und sympathischer Versuch, die Pathologie des Heute zu fassen, als wäre es gestern.

Und immer wieder wird gewaltsam gestorben in Strittmatters Stücken. Vielleicht gibt es Täter. Aber richtig schuld sind die dann auch nicht. Irgendwie muß das Leben ja zu Ende gehen.