■ Der ehemalige Nato-General Graf von Kielmannsegg zu den Angriffen von Nato und UNO gegen die Karadžić-Serben
: „Ziel der Operation darf nicht nur eine Strafaktion sein!“

taz: Herr von Kielmannsegg, die internationalen Vermittler haben immer wieder erklärt, es gebe keine militärische Lösung auf dem Balkan. Noch am Vorabend der ersten Nato-Angriffe sagte der UNO- Sonderbeauftragte Akashi, er sei sehr besorgt wegen der Konsequenzen für den Friedensprozeß. Die Nato erklärt nun umgekehrt, Ziel ihres Einsatzes sei die Verhinderung jeglicher Angriffe auf UNO- „Schutzzonen“. Gibt es nach dem Massaker von Sarajevo nur mehr eine militärische Lösung für die „Schutzzonen“?

Kielmannsegg: Den Begriff „militärische Lösung“ in der plakativen Art zu verwenden, wie das bei manchen Politikern üblich ist, halte ich für eine unverantwortliche und unbedachte Übung. Denn was seit vier Jahren seitens der Karadžić-Serben geschieht, ist die militärische Lösung par excellence. Die Weigerung seitens der Völkergemeinschaft, militärisch einzugreifen, hat die militärische Lösung des Siegers erst möglich gemacht.

Zweitens ist eine „militärische Lösung“ von westlicher Seite her zu verstehen als eine politische Lösung unter Einschaltung militärischer Mittel, wie Clausewitz dies ausgedrückt hat [Kielmannsegg spielt auf die Doktrin des preussischen Militärtheoretikers an, wonach der Krieg die Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln ist d. Red.]. Das Militär ist nur ein Instrument, um die politische Lösung auch durchzusetzen, wenn man sich dazu entschließt. Das hat der Westen bisher nicht getan, und deshalb hat er sich der militärischen Lösung der serbischen Seite unterworfen. Nun sehen wir offensichtlich zum ersten Mal den Willen, diesen für Bosnien tödlichen Prozeß nicht weiter mitzumachen.

Als Ziel wird die Wiederherstellung der Verbotszonen für schwere Waffen angegeben. Auf die Entwendung schwerer Waffen aus ihren Depots hatte die UNO nicht reagiert. Sehen Sie ein Verschulden der UNO für den serbischen Beschuß Sarajevos, so daß jetzt ein massives militärisches Vorgehen nötig wurde?

Der Zustand der waffenfreien Zonen hat nur kurze Zeit angehalten. Schon im letzten Herbst bei einem meiner Besuche in Sarajevo konnte man die Panzer und die Artilleriestellungen um die Stadt mit bloßem Auge erkennen. Der damalige Kommandant, General Michael Rose, sagte mir nur schulterzuckend: „Wir wissen, daß die Serben das längst unterlaufen haben, aber wir haben von der UNO kein Mandat und keine militärischen Mittel, das zu unterbinden. Wir sind schon froh, wenn sie nicht schießen.“

Dies war bereits damals die völlige Kapitulation. Dieser Kapitulation der UNO wurde zynisch die Krone aufgesetzt mit dem Aufgeben der „Schutzzonen“, mit dem Überantworten der eingekesselten Städte Srebrenica und Žepa, nachdem die UNO den Bewohnern versprochen hatte, diese stünden unter dem Schutz der Völkergemeinschaft. Ein schwedischer UNO-Offizier sagte mir vor kurzem: „Bei den Massenmorden an der männlichen Bevölkerung von Srebrenica, die dort – wie damals in den deutschen KZs an der Rampe – selektiert wurde, hat die UNO nicht nur zugesehen. Diesmal waren wir die Kapos, die Helfer.“ Das ist so unglaublich, daß man nicht begreifen kann, warum die westliche Welt sich noch frei nennen darf!

Bei den Nato-Angriffen waren die militärischen Ziele umfassend: nicht nur die schweren Waffen, sondern auch das Luftabwehrsystem, Kommunikationseinrichtungen und Munitionsdepots der Karadžić-Serben.

Das Ziel einer solchen Militäroperation darf nicht allein eine Strafaktion sein. Nach zwei Tagen wäre sie vorüber, nach weiteren zwei Tagen vergessen. Und bald darauf würden die Karadžić-Serben dasselbe wie vorher tun, weil sie in so kurzer Zeit nicht wirksam getroffen werden konnten. Auch politisch ist es nur sinnvoll, wenn das Ziel letztlich die Beendigung des Krieges ist; wenn den Karadžić-Serben klargemacht wird: Wir werden diese Art von Aktionen so lange durchhalten, bis ihr an den Verhandlungstisch kommt. Das Resultat muß ein gerechter, für alle Seiten akzeptabler Friede sein. Sonst ist alles wieder umsonst.

Waren also die bisherigen „Nadelstiche“ sinnlos?

In der Tat. So wie diese „Nadelstiche“ durchgeführt wurden, war dies eine Farce. Die Karadžić- Serben wurden vorgewarnt und haben einige Panzer hingestellt, die dann zerstört wurden. Die Nato war aber von der UNO abhängig. Die Nato hat stets erklärt, sie selbst müsse die Militäroperationen in eigener Führungsverantwortung übernehmen. Diese Erkenntnis hat sich anscheinend jetzt durchgesetzt. Insoweit könnte man von einer Wende sprechen. Eine wirkliche Wende wird es jedoch nur geben, wenn diese Politik so lange durchgehalten wird, bis es Frieden gibt.

Jene, die wegen Militäreinsätzen besorgt sind, fürchten vor allem die Gefahr einer Eskalation.

Ich halte das nicht für stichhaltig. Für die Zivilbevölkerung kann der Krieg kaum noch eskalieren. Dies gilt auch für den Erhalt des Staates Bosnien, der mit dem Fall von Žepa und Srebrenica am Rande seiner Existenz angelangt ist. Ferner sind die Karadžić-Serben militärisch nicht in der Lage, den Krieg beliebig zu eskalieren. Sie können sich mit der Nato nicht auf lange Zeit anlegen.

Es mag eine temporäre Intensivierung geben. Wenn aber die bosnischen Serben erkennen, daß die Nato ihre Strategie durchhält, werden sie die Kampfhandlungen bald einstellen, weil dies andernfalls nur in der Vernichtung der serbischen Kräfte enden würde. Dies können sich weder Karadžić noch Mladić noch Milošević wünschen. Diese sind zwar völlig skrupellos, sie sind Kriegsverbrecher, aber sie sind nicht dumm.

Womit rechnen Sie für die nächste Zeit: Mit einer Rückkehr an den Verhandlungstisch?

Wenn UNO und Nato ihr jetziges Handeln so aufrechterhalten, daß sie ihr kurzfristiges Ziel, das Ausschalten aller schweren Waffen um die gefährdeten Zonen in Bosnien, erreichen, so wird der Verhandlungswille wachsen. Weiterhin muß der internationale Druck und zugleich die Option des militärischen Eingreifens als politisches Instrument so bereitgehalten werden, daß den Karadžić- Serben deutlich wird: Wenn ihr erneut schießt, antworten wir auf dieselbe Art wie jetzt.

Man muß das gleiche tun wie bei Saddam Hussein: In dem Moment, in dem er eine Brigade bewegt, drohen die USA mit ihren Flugzeugträgern. Wenn ein wirklich machtgestütztes und entschlossenes Verhandeln einsetzt, kann dies zu einem Frieden führen, jedenfalls zu einem vorläufigen. Das Interview führte

Johannes Vollmer