„Schlampert, dreist – mitunter obszön“

Der Zeichner Horst Janssen ist tot. Mit Oldenburg, seiner Geburtsstadt, verband ihn ein eher schwieriges Verhältnis. Doch gerade dort bietet eine Ausstellung Gelegenheit, sich an sein Werk zu erinnern  ■ Von Sabine Komm

Bremen (taz) – Zuletzt rührte sich die rechte Hand des 65jhrigen Zeichners und Grafikers nicht mehr, das rechte Bein verweigerte nach einem Schlaganfall seine Dienste, Janssen benutzte eine unverständliche Geheimsprache. Aber: „Allein mit seiner Mimik und seinen Blicken kann er uns zum Verstummen bringen, zum Lachen, zum Erröten“, hieß es aus seinem engsten Kreis. Horst Janssen, seit Jahren kränkelnd, hat den Kampf nicht gewonnen. Gestern morgen ist er in Hamburg gestorben. Gerade im Alter hatte sich der Zeichner, der zeitlebens gegenständlich gearbeitet hat, immer wieder an seine Kindheit in Oldenburg erinnert. Hier hat der malende Zeichner, der seit über 50 Jahren in Hamburg gearbeitet hat, die Jahre 1930 bis 1941 verbracht. Hier lebten Opa und Oma, seine wichtigsten Bezugspersonen. Und hier wird der Mann, der mit Zeichenstift, Feder und Pinsel Kauziges meisterhaft festgehalten hat, bis zum 30. September mit einer Mammutausstellung geehrt.

Immer wieder hatte der alternde Zeichner, Grafiker und Autor gern erzählt, wie Opa die Speckgrieben aus den Pfannkuchen rausgefummelt habe, von den Gerüchen an Omas Küchenschürze und seinem liebsten Spielplatz, der Schneiderwerkstatt. Und Oldenburg, im nachhinein stolz auf seinen Sohn, hat die Gefühlsduselei für immer neue Huldigungen genutzt.

Dabei hatte die Beziehung Oldenburg–Janssen recht kompliziert begonnen. Zwei Wochen nach der heimlichen Entbindung in Hamburg war Martha mit dem unehelichen Söhnchen nach Oldenburg zurückgekehrt. In ihrer Nähstube hielt die Damenschneiderin das Kind versteckt, aus Angst vor Tratsch. Nach dem Tod von Mutter und Großvater war der Pimpf in die Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Haselünne geschickt worden.

„Dreckig, schlampert, verlottert und zerrissen, lustig, unbedenklich, bedenkenlos, physisch unerschöpflich, rabaukig und von gefährlichem Übermut getrieben, liebebedürftig, liebend, frech, dreist und witzig, lümmelig, überall anbändelnd und mitunter obszön“ – so beschrieb sich Janssen, nachdem seine in Oldenburg und Haselünne gezüchtigte Jugend sich nachträglich Luft verschaffte.

Janssen hat unzählige Akte gezeichnet, Pflanzen und Menschen gekritzelt. Zu seinem Werk gehört aber auch ein „Totentanz“, in dem der Zeichner, der zeitlebens dem Alkohol, Zigaretten und Frauen zugeneigt war, die eigene Todesangst verarbeitet hat. Im „Lamme- Zyklus“, einer Art gezeichnetem Tagebuch, verehrt der alte Janssen seine Tochter, die nach 30 Jahren Trennung plötzlich wieder in seinem Leben aufgetaucht war und Janssens wechselhafte Beziehungen zu Frauen beendete.

Oldenburg übrigens war es auch, wo Horst Janssen 1992 nach einem Unfall seine Krankengeschichte in einer Sonderausstellung aufgerollt hatte. 1990 hatte sich der Grafiker bei einem Sturz beide Augen mit Salpetersäure, die er zum Radieren bereitgestellt hatte, verätzt. „Man denkt nicht ans Zeichnen“, hat er in dieser Phase gesagt. „Man denkt tierisch. Man will wieder sehen. Erst mit dem sich andeutenden Besserwerden kommt dann sofort die Unverschämtheit des Menschen. Ich will wieder zeichnen. Erste Kritzeleien waren möglich, weil das Zeichnen nach über 45 Jahren in Fleisch und Blut übergegangen ist. Eine erotische Zeichnung kann ich eben auch mit geschlossenen Augen machen.“