Gerhard Schröder hat das persönliche Duell mit seinem Parteichef Rudolf Scharping vorerst verloren. Seinen Rausschmiß als wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD versuchte er gestern allerdings als freiwillige Entscheidung darzustellen. Sch

Gerhard Schröder hat das persönliche Duell mit seinem Parteichef Rudolf Scharping vorerst verloren. Seinen Rausschmiß als wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD versuchte er gestern allerdings als freiwillige Entscheidung darzustellen. Scharpings Risiko: Der ewige Rivale muß nun künftig weniger Rücksicht nehmen.

Gestolpert über eine „läßliche Sünde“

Großzügig und offensichtlich nichts Böses ahnend, saß der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder am Mittwoch abend in Aurich mit Journalisten beim Wein. Auch die massive Reaktion des SPD-Geschäftsführers Günter Verheugen auf sein Interview mit der Woche verleitete ihn nicht zu einer Gegenattacke: „Das ist eine läßliche Sünde“, meinte der Scharping- Rivale und nahm einen großen Schluck vom trockenen Weißwein.

Keine zwölf Stunden später stolperte er als wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Partei eben über dieses – im Vergleich zu früheren Schröder-Provokationen – sehr moderate Zeitungsinterview. Die Sommerreise des Ministerpräsidenten durch Niedersachsen sollte offensichtich seinen Integrationswillen demonstrieren.

Am nächsten Tag konnte Schröder nur noch versuchen, seinem Parteivorsitzenden den Sieg schnell noch zu entwinden – offensichtlich wollte er sich lieber selbst entmachten, als von Scharping entmachtet zu werden: Kurze Zeit nach Scharpings starken Worten vor der Bundestagsfraktion ließ der Gedemütigte in Bonn einen Brief an den Parteichef veröffentlichen (im Wortlaut auf dieser Seite) und versuchte den Eindruck zu erwecken, er sei der Degradierung durch einen Rücktritt als wirtschaftspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten aus eigenem Entschluß zuvorgekommen.

„Woche“-Interview zum Skandal hochgeredet

Prompt entbrannte zwischen Bonn und der niedersächsischen Provinz ein absurder Streit darum, wer von beiden dem anderen zuvorgekommen sei und wer nur reagiert habe. In Bonn hieß es, Schröder sei schon am Mittwoch vorgewarnt worden. In Hannover wollte man davon nichts wissen.

Der Schlag gegen Schröder kam überraschend. Zwar war schon am Wochenende nach Äußerungen Verheugens über eine Ablösung Gerhard Schröders als wirtschaftspolitischer Sprecher der Partei spekuliert worden. Rudolf Scharping bestritt aber noch am Sonntag, er wolle seinen Kontrahenten auf diese Weise entmachten und hatte es offensichtlich auch nicht vor.

Die SPD-Präsidiumsentscheidung vom Montag, Scharping als Kanzlerkandidaten zu bestätigen, fiel dann erstaunlich moderat und interpretierbar aus, erwies sich aber auch als wenig überzeugend. Scharpings Kernmannschaft schien erst nach der Präsidiumssitzung zu dem Schluß zu kommen, daß der Sieg über Schröder nicht so ausgefallen war, wie man ihn sich als öffentliches Signal gewünscht hatte.

Formal hatte das Präsidium am Montag nur über das Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur entschieden und damit dem gerüffelten Schröder die Chance gelassen, dem Beschluß auch selbst zuzustimmen. Das aber konnte Schröder noch nicht wissen, als er noch vor dem Wochenende das Woche-Interview gab, das Verheugen dann gestern als Anlaß für die Abrechnung zum Skandal hochredete.

Die Gefühlslage in der Fraktion hatte Verheugen richtig eingeschätzt. Am meisten störten sich die SPD- Bundestagsabgeordneten an Schröders Interviewthese, es gehe nicht mehr um „sozialdemokratische oder konservative Wirtschaftspolitik, sondern um moderne oder unmoderne“. Die Fraktion klatschte begeistert, als Scharping sagte, wer solche Ansichten habe, könne nicht mehr für die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik sprechen.

Mit Scharpings Kür zum Parteivorsitzenden in der Mitgliederwahl vom Juni 1993 hatte sich der damals unterlegene Schröder nie abfinden können. Er war in seiner Eitelkeit zu sehr getroffen, daß der vier Jahre Jüngere das Rennen gemacht hatte. Scharping hatte ohne absolute Mehrheit schließlich nur gesiegt, weil in einer Dreierkonkurrenz der populäre Niedersachse und Heidemarie Wieczorek-Zeul sich gegenseitig neutralisierten. Das für Scharping gefährlichere persönliche Duell mit Schröder, der trotz des Hickhacks des Sommertheaters in Umfragen an Beliebtheit weiter weit vor seinem blassen Parteichef rangiert, unterblieb.

Das Duell wurde fortan in Gremien ausgetragen, auf denen die Sozialdemokraten eigentlich die Bundesregierung hatten stellen wollen – vor allem im Streit um die Politik des mehrheitlich sozialdemokratischen Bundesrats. Daß künftig die Fraktion die Oppositionspolitik stärker bestimmen soll, zeigt sich auch daran, daß in der Haushaltsdebatte des Bundestages kommende Woche erstmals keine SPD-Landesfürsten sprechen sollen.

Für Scharping ist der Rausschmiß Schröders nicht mehr als ein Pyrrhussieg

Dabei beschädigte Schröders Anspruch auf die Kanzlerkandidatur der SPD, deren regelmäßige Inszenierung die Medien dankbar begleiteten, zwar stetig Scharpings Ansehen und Anspruch. Er hatte aber um so weniger eine Chance auf Verwirklichung, je öfter die Inszenierung wiederholt wurde.

Zum einen werden bei den Sozialdemokraten, die immer noch eine eigene Parteikultur zelebrieren, Königsmörder nicht zum Nachfolger des von ihnen Gestürzten gewählt. Aber auch praktische Gründe sprachen gegen Schröder: Die Landtagswahlen in Niedersachsen liegen 1998 nur wenige Monate vor der Bundestagswahl – der Landeschef hätte beide Wahlkämpfe gleichzeitig nicht bestreiten können.

Für Scharping ist der Rausschmiß Schröders aber auch nicht mehr als ein Pyrrhussieg. Zum einen muß er nun auf jeden Fall beweisen, daß er in der Lage ist, der SPD Profil und Führung zu geben. Zum anderen wird sich der niedersächsische Ministerpräsident nun an keine Absprachen mehr gebunden fühlen, was die Loyalität zur Bundespartei angeht.

In Diepholz kündigte er gestern schon an: „Ich mache keinesfalls einen Rückzug aus der Bundespolitik.“ Und außerdem formulierte er zum ersten Mal einen Anspruch, zu dem er sich bisher öffentlich nicht bekannt hatte: Ob er sich auf dem Parteitag in Mannheim als Kanzlerkandidat bewerbe, sei „eine offene Frage“. Karin Nink/Hans Monath, Bonn