Wand und Boden
: Robuster Hardcore

■ Kunst in Berlin jetzt: van den Berg, Soma

Tiere haben sich als Genre durchgesetzt. Nicht nur in Bildern, Fotografien oder Objekten, sondern auch als Medien. William Wegman etwa läßt zwei Weimaraner an seiner Statt kommunizieren, der Niederländer Niko Tenten benutzte zuletzt Ratten für seine Energiemodelle im NGBK. Oliver van den Berg indes geht den Spuren des bereits im 17. Jahrhundert ausgestorbenen Dodo-Vogels nach. Die vom Konzept her dokumentarisch angelegte Ausstellung „Harte Information“ in der Galerie Vierte Etage benutzt die Rekonstruktion des urzeitlichen Tieres als Metapher für den Umgang mit Kunst. Dabei tut der Mythos das seine dazu: Bis vor wenigen Monaten gab es keine exakte zoologische Darstellung des Tieres – erst im Mai hatte das für die Saurier aus „Jurassic Park“ zuständige ILM-Team bei einer Amsterdamer Schau das Biest am Computer rekonstruiert.

Van den Berg stellt dar, wie die Spurensuche in Kunstproduktion übergeht. Auf Fotowänden sind Bilder von den Vitrinen der Amsterdamer Ausstellung reproduziert, andere Fotos zeigen den Künstler im weißen Kittel beim Zwiegespräch mit einem ausgestopften Exemplar des Vogels; daneben liegen Forschungsberichte aus, die älteren Art&Language-Installationen der siebziger Jahre ähneln. Der Betrieb funktioniert. Trotzdem fallen beim Informationstransfer Skulpturen ab. Den Eingang versperrt ein gewaltiges, kreisrund durchbrochenes Holztor, an einer Wand hängt ein Gewehr, dessen Lauf in beide Richtungen mündet, und einen Nachbau des Dodos aus Pappmaché und Bienenwachs gibt es auch. Van den Berg sieht alles eher ironisch: „Wäre ich politisch ambitionierter, würde ich den Schutz ausgerotteten Lebens verlangen.“

Bis 30. 9., Mi.–Sa. 16–19 Uhr, Bregenzer Straße 10

Was im Kunstamt Kreuzberg als geschlossene Gruppe daherkommt, ist kein Bekenntnis zum klassischen Künstlerkollektiv, sondern gängige Praxis. Die Produzentengalerie SOMA entstand vor zwei Jahren, weil eine meterlange Fensterfront im Eingang zu „Super 2000“ an der Ohlauer Straße leer stand. Mittlerweile ist der Supermarkt geschlossen und die Galerie eine Institution, deren Konzept darin besteht, den Ausstellungsbetrieb als „work in progress“ zu zeigen. So wechseln sich alle paar Wochen Raum-Installationen und am Realismus orientierte Malerei oder Fotografie- und Architekturarbeiten ab. Im Kunstamt wurde dieses Durch-, Mit-, Gegen- und Nacheinander hübsch nebeneinander in mehrere Räume verteilt. Matias Bechtold hat auf dem Flur Miniaturen aus weißem Polystyrol an die Wand montiert, die an verschlungene Darmtrakte erinnern. Im nächsten Raum finden sich zehn rotbemalte und Fratzen schneidende Foto- Münder von Jürgen Baumann, die teilweise in Analogie zum weiblichen Geschlecht als hochkanter Schlitz präsentiert werden. Dahinter hat Matten Vogel die Skizzen und Arbeitsschritte zu seinem Haus-Projekt noch einmal nachgestellt (vgl. taz, 29.4.). Die meisten Objekte betonen, wie robust Kunst, egal ob minimalartig, abstrakt oder körperfetischistisch, erscheinen kann. Maria Pfaffenholz etwa hat in einer Glasvitrine abgetrennte Hände nachmodelliert, die in durchsichtigen Plastikhandtaschen stecken – zart wie eine Arbeit von Meret Oppenheim und zugleich trashig wie der Ami-Hardcore-Humor eines Mike Kelley. In einem anderen Raum ergeht sich der Maler Mark Hipper in der Darstellung von Kinderakten mit hervorstechendem Poloch, aber die pornographische Wirkung wird durch allzu aufgesetzte Zitate der Konzeptkunst abgebremst. Bei „Bad Language“ paart er eine Spiegelfolie mit der Zeichnung eines Mädchens, dem die Augen zu blinden Flecken verwischt wurden. Rätselhaft ist das nicht. Wunderbar leicht wirken dagegen die kleinen Papp- Installationen von Gabi Rets, die als Klappbilder kleine Alltagsszenen zeigen, Frauen mit Einkaufswagen oder vom Wind krumm gebogene Bäume. Auch in der Arbeit von Harry Hauck sind das Material und seine Gestaltung sehr verdichtet und ausbalanciert. Hauck läßt einen hohlen Gipskubus in einem Wasserbassin schwimmen, so daß sich Raum und Umraum wie von selbst durchdringen. Für ein extra Kabinett hat Monica Bonvicini eine zusätzliche Wand gezogen, hinter der das Endlos-Video „Wall Fuckin'“ läuft. Dort reibt sich eine nackte Schauspielerin an einer Betonnische minutenlang zum Orgasmus. Gegenüber den exzessiven Performances der späten 60er Jahre, etwa bei Bruce Naumans hospitalistischer Aktion, mit dem Kopf an die Wand zu schlagen, ist das Zusammenspiel von Architektur und Körper mehr eine einstudierte Übung, wenn nicht Ballett.

Bis 22.10., Di.–So. 12–18 Uhr, Mariannenplatz 2 Harald Fricke