Wenn es denn der Erleuchtung dient...

■ Patti Smith als Friedensbotschafterin in Berlin. Der Dalai Lama war auch da. Und Luise Rinser!

Es ist wirklich Patti Smith, die dann doch noch den leeren Platz hinter dem Namensschild einnimmt. Befürchtungen zum Trotz, sie sei unter all diesen verschiedentlich friedensengagierten Leuten womöglich nicht wiederzuerkennen, ähnelt sie noch immer stark der Erscheinung, die jede/r von Plattenhüllen her kennt. Ungewohnt sind bloß die Zöpfchen, in denen die Frisur ausläuft, das Hemd im groben Leinencharakter, der betende Gesichtsausdruck, mit dem sie den Worten des Dalai Lama lauscht. Bei näherem Hinsehen ist es unmöglich, nicht an Bettina Wegner zu denken.

Pressekonferenz zur Eröffnung der „Friedensuniversität“ im Berliner Palais am Festungsgraben. Patti Smith wirbt mit ihrer Anwesenheit für eine Organisation, die es sich vorgenommen hat, spirituelle, wissenschaftliche und politische Friedensbewegung in einer Art Workshop zusammenzuführen, wie der Vorsitzende Uwe Morawetz erläutert (siehe auch taz von gestern, vom 23.8. und 3.7.). Eine seltsame Runde: Vier Stühle weiter sitzt der Dalai Lama, daneben Luise Rinser, noch einen Stuhl weiter Robert McNamara, der – äußerst neutral formuliert – als ehemaliger Verteidigungsminister Mitschuld am Vietnamkrieg trägt. McNamara hält eine Sonntagsrede für den Frieden, Patti Smith' Beitrag ist ein Gedicht: „I was dreaming in my dreaming...“, gipfelnd in der wiederkehrenden Zeile „that the people have the power“, zurückgenommen am Ende durch ein „in my dream“. Von New Jersey nach Berlin ist es ein weiter Weg, noch weiter scheint der von US-Punk 75/76 hin zum Zitat Martin Luther Kings auf so einem Podium. Was ist geschehen? Einzelinterviews gibt sie nicht, zuviel Scheu vor der Presse, zuviel Streß bei der Vorbereitung der Lyrik- Performance mit Gitarrist Lenny Kaye am Freitag abend, wie der „persönliche Betreuer“ zu verstehen gibt. Es wird aber schon bald eine neue Patti-Smith-Platte geben. Tom Verlaine, der alte Mitbohemien aus New Yorker CBGBs- Tagen, wird die Gitarre spielen, außerdem natürlich Kaye, der ihr nach dem Tod ihres Ehemanns im Sommer sehr geholfen hat. Das Album hat noch keinen Namen, es wird aber einen Song namens „About a Boy“ enthalten, einen Versuch über Kurt Cobain, das heißt nicht wirklich über ihn, mehr über eine Haltung, eine Gefühlslage, die Patti Smith in den letzten Jahren bei ganz verschiedenen Leuten beobachtet hat.

Das alles ist bei einem sogenannten Round Table zu erfahren, bei dem Journalisten Fragen an Patti Smith richten dürfen. Ja, sie habe sich geschmeichelt gefühlt durch die Einladung nach Deutschland, eigentlich sei sie aber des Dalai Lamas wegen gekommen. „Lassen Sie es mich mit einer Geschichte sagen: In den späten Fünfzigern, als ich ein Kind war, sollten wir uns in der Schule ein Land aussuchen, und ich nahm Tibet, weil das schön und spirituell klang. Eine schlechte Wahl, sagte der Lehrer, es gibt in den Nachrichten nichts über Tibet. Dann Erleuchtung dient ... Lama war auch da. Und Luise Rinser!

Von Thomas Groß

kam aber der Einmarsch von China. I was heartbroken, ich dachte, die Vertreibung der Mönche wäre meine Schuld. Als ich ihn heute sah, mußte ich daran zurückdenken, wie ich damals für den Dalai Lama gebetet habe.“ Der Höhepunkt: daß er sie zur Begrüßung in den Arm genommen hat.

Wie Patti Smith überhaupt zur Religion steht, will eine Kollegin von der Ungarischen Zeitung wissen, die sich am oberen Rand ihrer Fragekarte in Schönschrift das Stichwort „God“ notiert hat. Die Antwort ist ein längerer Exkurs über das Neue Testament, den Papst, das Bewußtsein, das Älterwerden, was man für Geld tut und was nicht, die wahren revolutionären Konzepte der Menschheit. Daß man die Beute teilt nämlich, sich angesichts der Lage des anderen sagt: „He is hungry too.“

Noch vieles mehr ist an diesem späten Nachmittag von einer ernsten, freundlichen und ein wenig entrückten Patti Smith zu erfahren: die letzten Worte ihres Freundes Robert Mapplethorpe („Do this! Keep working“), Meinungen über den „Materialimus“, die Gier der Epoche und die „low economic situation“; daß sie heute mit ihren zwei Kindern in New Jersey ganz anders lebt als damals; daß die Zeit des Tagträumens und Rumhängens vorbei sei, wenngleich sie das Einnehmen von Drogen zu nichteskapistischen Zwecken immer noch begrüßt. Gut ist, wenn es der Erleuchtung dient – allerdings sollte man das Zeug nicht unter 18 nehmen, denn da wächst der Körper noch, die Knochen, die inneren Organe und so, „na ja, ich rede eben daher wie eine Mutter“.

Bevor die Runde zu Ende ist, will ich aber doch noch wissen, was mir als allererstes zur neuen, friedensbewegten Patti Smith eingefallen ist: wie sie heute zu den Zeilen steht, mit denen ihr erstes Album, „Horses“, beginnt: „Jesus died for somebody's sins but not mine...“

„Damals war ich zwanzig“, kommt mit allem Ernst dieser Welt die Antwort, „ich wollte Verantwortung für mein Leben übernehmen, mit allen Konsequenzen. Punk war zwar aggressiv, aber das hat die Kunst in bestimmten Zeiten so an sich. Denken Sie nur an Picasso, seine ,Desmoiselles d'Avignon‘. Oder an Jackson Pollock, ein Solo von John Coltrane oder Jimi Hendrix, alles sehr aggressiv. Es ging dabei aber nicht wirklich darum, sich gegenseitig zu verletzen, auch nicht uns, schließlich hatten wir damals ja elektrische Gitarren und keine Waffen. Und wenn Jesus heute käme und zu mir sagte: ,Hey, ich bin für deine Sünden gestorben‘, dann wäre ich sehr dankbar dafür.“

Das muß man dann wohl mal so stehenlassen. Erwähnt sei aber noch, daß Patti Smith nicht die einzige ist, die das Crossover von der populären Musik hin zum Engagement für alternative, „nichtmaterialistische“ Werte vollzogen hat. Links auf dem Podium, das um die Mittagszeit die „Friedensuniversität“ für eröffnet erklärte, saß auch Adam Yauch, besser bekannt als Mitglied der Beastie Boys. Sein Statement: Er, der Tag für Tag mit jungen Leuten zusammenkomme, wünsche sich sehr dringend Erziehungsinstitutionen, wo man mit Musik Mitgefühl und Miteinander erlernt.

Weil Yauch nach dem Ende der Veranstaltung so vollkommen unpopstarmäßig und vergleichsweise unbeachtet am Rand herumsteht, frage ich ihn, wie der Schritt von Videos, in denen die Biesterjungen mit großem Vergnügen Wohnungen demolieren und für ihr Recht auf die Party kämpfen, hin zum Gemeinsinn für ihn persönlich so funktioniert. Nur ein einziger Satz fällt ihm nach längerem Überlegen und Fußscharren ein: „There's a lot of transition.“ Und das stimmt ja schon auch: Soviel Übergang war nie.