Nachschlag

■ Markus Jerochs WoWo-Literarieté im Scheinbar

„An sich macht Frau Wipfel die Buchempfehlungen, aber sie kann heute nicht“, stammelt verlegen der Herr mit dem grauen Anzug und schlägt zum wiederholten Mal die Beine übereinander. Aus den Hausmärchen der Brüder Grimm versucht er dann eine Lesung, nein, einen Lektüretip zu basteln. „Des Kaisers neue Kleider“ sollen dem Publikum vorgestellt werden. Indes, der literarische Solist scheitert bei der Lesung aus dem Text kläglich an den Worttrennungen. Immer neue, absurde Sinngebilde ergeben sich. Man kennt die berühmten Blumento-pferde als Beispiel miserablen Zeilenumbruchs, radikaler Übermüdung oder kalauernder Partygespräche. Aber halt, hier handelt es sich um Literatur, und zwar von Friedhelm Kändler. Das Ganze vorgetragen als Literarieté von Marcus Jeroch.

Dem Berliner Publikum ist Marcus Jeroch durch seine Auftritte im Chamäleon und der Bar jeder Vernunft inzwischen gut bekannt. Seine Show ist eine Mischung aus Kabarett, Artistik, Gesang und Literaturvortrag. Mit Frack und staubiger Einsteinfrisur wird am Stehpult deklamiert. Sehen so nicht wirre Professoren aus? Der Beginn des neuen Programms, das am Freitag in der Monumentenstraße Premiere hatte, ist denn auch eine theoretische Einführung in den Kändlerschen Wowoismus. „Wowo ist die Frage auf die Antwort von Dada. Wowo kann jeder sein, wenn er nur wowo ist.“ Und so weiter. Kändler hat eine kleine Fangemeinde und sieht sich in dadaistischer Tradition. Dazu ist er noch Hannoveraner wie das große Vorbild Kurt Schwitters.

„Wowo“ ist auch der Abend betitelt, der zu neunzig Prozent aus Kändlers Texten zusammengestellt ist: Gedichtinterpretationen, Lieder und kleine Glossen. Dazwischen in zwei Sets kurze Texte von dem russischen Absurden Daniil Charms. Der premierengestreßte Jeroch hatte bei seinen Jongliernummern größere Pannen. Leider verzappelte er zudem seine Rezitationen. Viel zuviel mimt und hüpft er in seiner Ausdruckslesung, zeigt wenig Spielbreite. Er scheint dem Gehalt seiner Texte selbst nicht zu trauen. Bei Charms könnte er sich getrost darauf verlassen. Selten sieht man souveräne Momente, in denen er die Ironie ausspielt. Jeroch möchte zu sehr gefallen und das Publikum bedienen. So gerät er zum Poetikclown. Drei schöne Varianten der Nummer von der ewig nölenden Freundin von Bernd zeigt er dann als Zugabe. Erschöpft von dem Abend, trägt er sie minimalistischer und stöckelschuhgebremst vor. Das Publikum war hingerissen – insgesamt – und feierte den Wortakrobaten. Caroline Roeder

Marcus Jeroch: „WoWo – ein Literarieté“, Do-–So., 20.30 Uhr, im Scheinbar-Varieté, Monumentenstraße 9, Schöneberg