Sanssouci
: Vorschlag

■ Kandinsky-, Mussorgsky- und Chlebnikow-Szenen an der HdK

Wenn zu Beginn des Jahrhunderts ein frisch erfundener Theaterwissenschaftler von einem Kollegen Naturwissenschaftler nach der Methodik seines kuriosen Faches gefragt wurde, entgegnete er mit törichtem Ernst: Rekonstruktion. Damals sollen die Professoren nämlich an Oberseminaren Modelle der Meistersingerbühne zusammengeleimt haben, und einige Theaterforscher glaubten gar, durch praktische Übungen der Schauspielerei wie zu Goethes oder Shakespeares Zeiten der Wissenschaft einen großen Dienst zu erweisen. Natürlich waren die Ergebnisse dieser kindischen Bastelstunden Anlaß zum Schmunzeln.

Nicht viel besser ergeht es leider auch der HdK, der Hochschule des Kunstgewerbes. Dort rekonstruierten Martin Rupprecht und Horst Birr (als Koproduktion mit den Berliner Festspielen) die eigene Rekonstruktion aus dem Jahre 1983 von Kandinskys legendärer Dessauer Inszenierung „Bilder einer Ausstellung“, 1928. Während der Pianist Holger Groschopp Mussorgsky interpretiert, illuminieren allerlei Farb- und Formkompositionen die schwarzverhangene Bühne: Bald färbt sich ein roter Kreis blau, bald tanzen gelbe Lichter, Stäbe und Rechtecke vorbei. Der Kenner wird sich vielleicht darüber entzücken, hier trotz einiger kandinskyscher Rückfälle ins Gegenständliche eine Frühform des visuellen oder gar abstrakten Theaters zu besichtigen; der Laie wertet die Inszenierung wie einen schlechten Wilson, wie das schlechte Original zur schönen Kopie bunt, aber trotzdem irgendwie befremdlich unsinnlich.

Ähnlich zwiespältig stimmt die Chlebnikow-Uraufführung „Schramme am Himmel“. In Zusammenarbeit mit den „Maulwerkern“ haben HdK-Studenten ein sogenanntes Skulpturentheater zu Chlebnikow-Gedichten entworfen: Fünf, sechs mit Röhren, Krücken, Objekten verwachsene Menschmaschinen verständigen sich auf der Bühne und im Publikum blubbernd, zischend, summend, schnarrend – als hätte man sich in eine Voliere oder in eine mißratene Inszenierung von Achim Freyer verirrt.

Die Wiederbelebung und Rekonstruktion der Theateravantgarde muß scheitern – nur, warum? Weil die historisch revolutionäre Formen, die da rekonstruiert werden, längst zum Kanon gehören. Zudem bleibt jede Rekonstruktion unvollständig, weil doch niemand die Konvention wiederherzustellen vermag, gegen die opponiert wurde. Und weil gemeinhin nur leere Formen wiederbelebt werden, selten die Inhalte. Inhalte, ja, denn weder Kandinsky noch Chlebnikow war im eigentlichen Sinn abstrakter Künstler. Sie unterlegten der Farbe und Form, der Zahl und dem Wort geradezu mystische Bedeutung und glaubten, mittels ihrer Werke zur Weltharmonie beitragen zu können.

Doch davon ist bei diesem Projekt nicht die Rede. Und so liegt das Verdienst der Veranstaltung auch nicht darin, Kandinsky oder Chlebnikow wiederhergestellt zu haben, sondern in der Rekonstruktion eines methodischen Irrwegs der Theaterwissenschaft: der Rekonstruktion. Dirk Nümann

Noch bis zum 11. 9., jeweils 20 Uhr, Theater- und Probensaal der HdK, Fasanenstraße