Lidokino
: Es ist schwarz da draußen

■ Arte filmt auf Moruroa, Wenders ist allmählich reif für RTL

Mittlerweile sieht es vor dem sogenannten Casino, in dem die meisten Filme gezeigt werden, aus wie vor einem Zirkus. Fernsehanstalten sind mit Zelten und Übertragungswagen aufgefahren, toupierte Herren gehen dazwischen einher, und am Abend zeigt eine pixelfeine Leinwand, was sie zu Woody Allen zu sagen haben. Gestern gab es an derselben Stelle noch einen Volksauflauf; ein Pornokönig war aufgetaucht und hatte drei seiner schönsten Actricen mitgebracht. Komischerweise umstanden ihn vor allem junge Menschen, zu denen man doch eigentlich sagen möchte: Kinderlein, ihr habt doch einander, was braucht ihr des dummen Onkels.

Relevanzproblem gelöst – einfach mehr splattern scheint das nicht originelle Motto eines neuen, wohlfinanzierten Genres von Jugendfilmen zu sein. Sie kommen im Schlepptau von Quentin Tarantino daher, den sie oft kopieren, aber nie erreichen. Von Tarantinos Genrekenntnis, seinem Ohr für Sound und seinem Händchen für rhythmisierte, elegante Gewaltakte haben sie nur die Gewalt übrigbehalten. „The Doom Generation“ von Gregg Araki, der durch sein Aids-Heldenepos „The Living End“ zu unverdienter Berühmtheit gelangt ist, wäre kaum der Rede wert, wüßte man nicht, daß er bald in einem Kino ganz in Ihrer Nähe ... Drei kleine Arschlöcher, die einem so egal sind wie Schnee von gestern, fahren durch die Gegend, kotzen anderen Leuten die Autos voll, schmieren sich Sperma ins Gesicht und köpfen koreanische Gastronome, aus deren noch immer sprechenden Mündern dann Gemüsebrei fließt, denken Sie nur.

Auf Hollywood ist da deutlich mehr Verlaß als auf diese jugendfeindliche Jugend. „Apollo 13“ ist ein „Ed Wood“ für Raumfahrer geworden, ein langer Film über das Scheitern. Nachdem klar ist, daß sie den Mond nie erreichen werden, weil ihnen durch eine Explosion zuviel Sauerstoff verloren gegangen ist, muß die Crew alle Geräte an Bord bis zum Minimum herunterfahren. Während Tom Hanks und seine beiden Männer flach atmen und am Leben zu bleiben versuchen, fliegt ein Transistorradio schwerelos durchs Schiff, aus dem Petula Clark nicht besonders aufmunternd singt. Solche Momente haben sonst nur Filme wie „Alien“ hervorgebracht. Hier bleibt der „Alien“ abstrakt, es ist einfach schwarz da draußen.

Apropos schwarz. Die ersten Dokumentarfilme aus Mororoa sind eingetroffen, natürlich von Arte und La Sept. Bevor man irgendwelche Karten, Atompilze oder französische Generäle sieht, sitzt man mit ein paar Leuten und ihren Kindern beim Abendbrot. Ein Kind wird vor dem Schlafengehen mit einem Schlauch abgespritzt und quiekt vor Vergnügen; es trägt einen Anus preter, nötig geworden nach einer Darmverwachsung, wie sie auf Mororoa vor den Versuchen unbekannt war. Der Film „Mururoa, le grand secret“ kommt den Leuten dauernd sehr nah, man hat das Gefühl, sie anfassen zu können, und so wird einem, „unter der Hand“ deutlich, worum es bei den Tests und ihren Folgen geht: um Versehrtheit an Leib und Leben, von dem Verlust an politischem Vertrauen ganz zu schweigen.

Oh, mein Gott, fast hätt ich es vergessen. Der neue Wenders- Antonioni ist da gewesen. Ein Herrenwitz. Im Herbst begegnen sich Männer und Frauen (Isabelle Adjani, Irene Jacob, Sophie Marceau), die nach RTL-Rekordzeiten aufeinander herumturnen, wobei Herrenfinger leicht um Brustwarzen herumtanzen, um plötzlich unverrichteter Dinge wieder in den Herbst hinauszulaufen. Es kommt zu sehphilosophischen Äußerungen. Wenn die Schönen dann aus dem Fenster hinterherschauen, kucken sie aus Boss-Hemden zurück, einsam, Rilke im Herzen und so ein sinking feeling in der Hose. Mariam Niroumand