Der Brötchenclou

Polnische Schrippen für 9 Pfennig semmeln im kleinen Grenzverkehr das deutsche Handwerk nieder  ■ Aus Frankfurt (Oder) Bascha Mika

Marta Bruns backt kleine Brötchen. Die verkaufen sich am besten, die Schrippe für neun Pfennig. „So billig wie in der DDR“, schnauft eine dickliche Kundin zufrieden und entrollt ihren Einkaufsbeutel, so ein haltbares Nylonteil im sozialistischen Einheitsdesign. Flink zählt Bäckerin Bruns Brötchen hinein. 24, 26, 28, 30. Ein Kilobrot obendrauf und zwei Plunderstücke mit Pflaumen. „Fünf Mark siebzig.“

Wo Frankfurt (Oder) am häßlichsten ist, hat Marta Bruns ihren Laden. Versteckt im Hof einer Siebziger-Jahre-Siedlung. Wer hier nicht lebt, braucht einen Kompaß, um hinzufinden. Kein Schild, keine Glasfront lockt, nur ein Plakat mit viel braunem Backzeug klebt an der Wand neben der Eingangstür. Drinnen 20 Quadratmeter Verkaufsfläche, eine mit Klebefolie auf Marmor gequälte Theke, hartes Neonlicht statt indirekter Beleuchtung. Hier braucht nichts appetitfördernd bestrahlt zu werden, gekauft wird es sowieso. Die Schrippenkörbe sind ab elf Uhr leer, die Weiß- und Graubrote, Schnecken und Hörnchen werden keinen Tag alt. Manchmal macht der Laden schon mittags zu – ausverkauft!

Er trägt Windjacke und Jeans, sie einen roten Hosenanzug, beide schleppen sie baumelnde Brötchentüten, als ging's zu 'ner Hochzeit. „Nee, die frieren wir ein“, sagt er, „die schmecken so juut, viel besser als die Luftnummern, die uns unsere Bäcker seit der Wende verkoofen. Man kommt doch nich nur, weil et billjer is.“

Man kommt auch, weil man neugierig ist. Denn was das Rentnerpaar da nach Hause trägt, sind so eine Art polnische Aussiedler: Die Schrippen wurden in Gorzów, gut 60 Kilometer hinter der Grenze, gebacken. Als Knusperwerk kommen sie daher und sind doch in Wahrheit ein hinterhältiger polnischer Angriff auf das heimische Handwerk – behaupten die Frankfurter Bäcker und üben sich seit zwei Wochen im deutsch-polnischen Semmelkrieg.

„Auf der einen Seite machen sie alle auf deutsch-polnische Freundschaft“, redet der Rentner sich richtig in Rage, „auf der anderen Seite treten sie den Polen die Hacken weg.“ – „Die Bäckerin is doch gar keine Polin“, brummt seine Frau dazwischen, „sondern 'ne Deutschstämmige, die nur in Polen geboren ist.“ – „Is ja egal, aber wenn dieser Laden geschlossen wird, gehen wir nach drüben. Die deutschen Bäcker sind einfach zu teuer.“

Wie aufs Stichwort mischt sich ein dritter Kunde ein: „Fünfundzwanzig Pfennje die Schrippe und drei Mark fürs Brot woll'n sie hier in Frankfurt haben“, rechnet er vor, „Preise sind das wie im Westen, den Verdienst ham wa nich.“ Ein abschätzender Blick streift das Rentnerpaar, dann muß der Jüngere doch noch etwas loswerden. „Brot is ja in Ordnung“, feixt er. Aber einen polnischen Fleischer würde er hier nicht reinlassen. „Wer weiß, die schlachten da drüben doch auch Hunde und Katzen.“

Falls Marta Bruns das gehört hat, läßt sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Lächeln gehört zum Geschäft. Die Kunden mögen das – dann bekommen sie es auch. Seit Mitte Juli betreibt die Geschäftsfrau ihren Frankfurter Bäckerladen. Einen weiteren besitzt sie im polnischen Slubice, dem ersten Ort gleich hinter der Grenze; da sind die meisten Kunden ebenfalls Deutsche.

Was Marta Bruns diesseits und jenseits der Oder verkauft, stammt aus der Bäckerei ihres Vaters in Gorzów. Der zahlt seinen MitarbeiterInnen den üblichen polnischen Niedriglohn und backt mit polnischem Mehl; dessen Preis wird auch in postkommunistischen Zeiten noch staatlich gestützt.

Jeden Morgen kommt das Ostbackwerk im kleinen Grenzverkehr nach Frankfurt (Oder), einer Stadt mit 75.000 Einwohnern und sieben Bäckereien. Gerne würde Martha Bruns hier noch eine zweite Depandence aufmachen. „Wie viele Bretchen ich jetzt schon rieberbringe, sag' ich lieber nicht“, sagt sie und grinst, „sonst ärgern sich die Frankfurter Bäcker noch mehr.“ In Slubice, erzählt die 47jährige, habe man ihr schon mal die Scheiben eingeschmissen, „weil ich da die Deutsche bin, mit meinem deutschen Mann und deutschem Paß“. Und in Frankfurt benutzen Jugendliche den „Polenladen“ im Neubauviertel als Treff, wo man so ein bißchen randalieren und den Frust rauskotzen kann. „Schmuggelbrötchen aus Polen? Nein, danke!“ haben sie auf die Wände geschmiert und Marta Bruns die angebissenen Semmeln und halbvolle Colabüchsen vor die Füße geschmissen. Doch die Kids kommen nur bei schönem Wetter, und heute fällt Regen. „Das sind doch nur Kinder, die sich langweilen“, bemerkt die Bäckerin gelassen, „oder sind sie vielleicht doch von der Konkurrenz geschickt?“

Die Konkurrenz ist die Bäckerinnung mit dem schönen Namen „Germania“ und die Handwerkskammer. „Die denken tatsächlich, ich schmuggel' jeden Tag Tausende Bretchen“, ärgert sich Bruns, und dann vergeht selbst ihr das Lachen. „Wir haben freie Marktwirtschaft! Ich hab' mein Gewerbe angemeldet, ich zahl' Zoll und kann meine Preise machen, wie ich will!“

Da könnt ja jeder kommen, denkt die Handwerkskammer. Von „falsch verstandener Freundschaft“ spricht deren Chef Jürgen Watzlaw und daß sich der Polenladen nicht „mit den Interessen der heimischen Wirtschaft“ vertrage. Sogar die großen Verdienste des deutschen Bäckerhandwerks in den Hungerjahren nach 45 führt er ins Feld und daß die Handwerksbetriebe fünfzig Jahre danach ein Recht auf Fürsorge in der Gesellschaft hätten.

Die Bäcker haben sich längst voll in die polnischen Brötchen verbissen und semmeln, was das Zeug hält. Sie pinkelten das Gewerbeaufsichtsamt und den Stadtrat an. Die Behörden konterten: Freiräume in der Markwirtschaft würden eben von denen ausgefüllt, die das klügste Konzept besäßen. Dann drohten die Bäcker gar, im nächsten Jahr keine Lehrlinge mehr einzustellen – dabei finden sie schon heute nicht genügend Leute für eine Bäckerausbildung.

„Jannusch, Bäckermeister seit 1961“ steht in großartigen Lettern an einem Laden in der Frankfurter Innenstadt. Ein getrimmter „Backshop“ mit riesiger Fensterfront und blitzender Marmortheke – ganz westkompatibel. Matthias Jannusch, selbständig auch schon zu DDR-Zeiten, ist hinter den Kulissen einer der Wortführer gegen die polnische Konkurrenz. Öffentlich will der Meister allerdings nichts sagen. Statt dessen redet seine Verkäuferin. „Nee“, sagt sie und wienert eifrig die Theke, „das ist doch ungerecht gegenüber den deutschen Bäckern, weil unsere Betriebs- und Lohnkosten doch so viel höher sind. Wenn die Leute über die Grenze gehen, um ihr Brot zu kaufen, ham wir ja gar nichts gegen. Nur daß sie mit dem ganzen Laden hierherkommen...“ Und dann die Sache mit den Hygienebestimmungen. „Das is doch da drüben ganz anders mit der Sauberkeit. Sollen sie ihr billiges Brot doch an Krankenhäuser oder Waisenheime verkaufen.“

Eigentlich kann von Konkurrenz keine Rede sein. Sieben Bäckereien gibt es in Frankfurt. Selbst wenn Marta Bruns das doppelte verkaufen würde, gäbe es noch immer zuwenig Brötchen. Bei Jannusch zum Beispiel kriegt nur der seine Samstagsschrippe, der sie am Freitag bestellt hat.

Doch davon will die Handwerkskammer nichts hören. „Unterversorgung? Das ist doch eine reine Konstruktion“, behauptet deren Sprecher Fred Winter, „von solchen Übertreibungen halten wir beim Handwerk nichts.“ Und überhaupt, wer rede hier von nationalistischen Tönen? Habe sich die Handwerkskammer nicht immer für die deutsch-polnischen Beziehungen eingesetzt? Biete man nicht sogar Lehrgänge für polnische Handwerker an? „Aber dann sollen sie drüben bleiben und ihre Kenntnisse für ihr eigenes Land dienstbar machen.“

Und dann verrät Winter, worum es beim Semmelkrieg wirklich geht. Die Handwerker beutelt die Angst: Erst kommen die Bäcker, dann die Friseure und dann noch jede Menge andere Läden mit polnischen Billigpreisen, fürchten sie.

Wie recht sie haben.

Wanda Tugi betreibt einen kleinen Friseursalon in der Innenstadt von Slubice. Drei Stühle, ein Waschtisch, der Haarschnitt für sieben, die Dauerwelle für dreißig Mark. Mehr als die Hälfte der KundInnen ist deutsch, und Wanda Tugi ist Geschäftsfrau. Im nächsten Monat wird sie mit ihrem Laden in die unmittelbare Nähe des Grenzübergangs ziehen und dann... „Ich will schon lange meinen Salon nach Frankfurt verlegen“, strahlt sie. Die nötigen Anträge habe sie bereits gestellt, jetzt fehlen nur noch die Genehmigungen der Behörden. Ein Schneider in Slubice habe ähnliche Pläne und auch ihr Nachbar, der Fotograf. „Ist doch kein Problem“, findet Wanda Tugi, „ich kaufe viel in Deutschland ein, die Deutschen kommen hierher. Ist doch alles ganz einfach.“

Höchstwahrscheinlich nicht.