Oscar Temaru stahl Abgeordneten die Show

■ Parlamentarier aus aller Welt demonstrierten in Papeete ungewollt für die Unabhängigkeit

Franca Arena hatte gerufen, und von überall her waren sie gekommen. Knapp 90 Parlamentarier aus 17 Ländern marschierten am Samstag durch die Straßen Papeetes, um gegen die französischen Atomtests zu protestieren. Gegen die Atomtests? Ohne recht zu wissen, wie ihnen geschah, demonstrierten die Abgeordneten für die polynesische Unabhängigkeit.

Franca Arena ist australische Labor-Abgeordnete, sie hatte die Idee, ihre Kollegen zu Protesten gegen die Tests zu bewegen. „Ich stieß auf enthusiastische Reaktionen“, erklärte sie am Samstag strahlend. Nachdem Australien so geeint ward im Kampf gegen die Bombe, schrieb sie an die Kollegen in Neuseeland und erzeugte wiederum „enthusiastische Reaktionen“. Dann rief sie Enthusiasmus in Japan hervor, woraufhin ihr der Gedanke kam, so viel Enthusiasmus müsse für die ganze Welt reichen. Bis zu diesem Punkt ahnten die Polynesier noch nichts von ihrem Glück. Doch nun schrieb Arena diverse Oppositionspolitiker auf Tahiti an – und einer biß sofort an: Oscar Temaru, der charismatische Führer der Unabhängigkeitspartei Tavini Huiraatira.

Samstag war Temarus Tag. Erst im Morgengrauen war er zusammen mit den Greenpeace-Aktivisten in einer Militärmaschine von Moruroa zurückgekehrt. Auf dem Flughafen von Tahiti stahl er den kurz vorher gelandeten Abgeordneten die Show. Erst am Donnerstag war der Chef der Unabhängigkeitspartei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf die Rainbow Warrior gebracht worden – um sich daselbst mediengerecht festnehmen zu lassen. „Es war uns wichtig, Oscar Temaru einzubinden, um dem Eindruck vorzubeugen, daß unsere Aktion hier völlig an den örtlichen Protesten vorbeiläuft“, betonte Thomas Schultz-Jagow, der deutsche Greenpeacler auf Tahiti. Man könnte jedoch ebenso gut sagen, daß es für Oscar Temaru wichtig war, Greenpeace in seine Strategie einzubinden. „Etwas Besseres als die Anti-Atomtest-Proteste konnte uns gar nicht passieren“, sagte der clevere Politiker am Rande. Von Greenpeace redete am Samstag kaum noch jemand in Papeete. Nur noch von Oscar.

Und so fanden sich Vera Lengsfeld und Wolfgang Schmitt mit ihrem kleinen Transparent „Halte aux essais nucléaires – stop tests now“ samt bündnisgrüner Sonnenblume plötzlich als Kämpfer für die polynesische Unabhängigkeit wieder. Kleine Grüppchen von Tahitianern standen am Straßenrand, als der Parlamentarierzug vorbeidefilierte „So, jetzt können wir also sagen, daß wir auch Resonanz von der einheimischen Bevölkerung hatten“, bemerkte Schmitt staubtrocken zu seiner Kollegin.

„Non aux essais nucléaires“, skandierten 20 Japaner in mühsam einstudiertem Französisch. Die gutgelaunten Australier sangen zur Melodie von Frère Jacques „Stop that bomb“, ding dang dong. Der Belgier war allein, sang nicht und ließ das Transparent mit dem Signet der liberaldemokratischen Partei von zwei Tahitianern tragen. „Wenn die Franzosen nur vier statt der acht Tests durchführen, können wir uns das als Erfolg anrechnen“, erklärte er einem zweifelnden Niederländer die Bedeutung dieses Politausflugs.

Internationaler Besuch auf tahitianischem Parteitag

Am auffälligsten waren die Fahnen der Unabhängigkeitspartei. Franca Arena hatte versucht, Oscar Temaru zu verpflichten, die Demonstration auf einen Protest gegen die Atomtests zu beschränken. Nicht alle Abgeordnete, erklärte sie ihm dann am Samstag noch mal, wollten solche politischen Aussagen treffen. Aber immer wieder rückte Oscar Temaru ins Bild, hielt eine Viertelstunde lang den Zug durch Papeete auf: für einen Händedruck mit einem aus Hiroshima angereisten Atombombenopfer – so lange, bis auch der letzte Fotograf sein letztes Bild verschossen hatte.

Nach der Kundgebung auf Papeetes zentralem Platz, an der rund tausend Menschen teilnahmen, fand dann am Nachmittag in einer wellblechüberdachten Sporthalle ein wahrer Parteitag statt. Staatsmann Temaru sprach auf tahitianisch zu seinem Volk, die Stimmung bei den Polynesiern war „enthusiastisch“. Oscar Temaru präsentierte Bauchtänzerinnen im Bastrock, begleitet von einem Trommlerorchester. Die Abgeordneten, unter ihnen auch der japanische Finanzminister Masayoshi Takemura, waren nur schmückendes Beiwerk.

Verteilt zwischen mehreren hundert begeisterten Polynesiern hockten die meisten Abgeordneten inzwischen alles andere als enthusiasmiert auf ihren Plastikstühlen. Keiner wußte so recht, wie es weitergehen sollte; das Schiff, auf dem gut 30 von ihnen gen Moruroa cruisen wollen, war noch nicht angekommen, und eigentlich kümmerte sich keiner um sie. Zum ersten Mal seit Beginn der internationalen Proteste fühlten sich die Polynesier selbst im Mittelpunkt des medialen Interesses.