RTL auf türkisch

■ Türkischer Sender will ins Bremer Kabel / Gestern gab's die Lizenz

Die türkische Gemeinde in Bremen kann sich freuen: Möglicherweise wird schon bald ein zweiter türkischer Fernsehsender übers Bremer Kabel verbreitet. ATV 2 soll der deutsche Ableger des türkischen Privatsenders ATV heißen. Und der hat gestern nach einer Anhörung bei der Bremischen Landesmedienanstalt die Lizenz für die bundesweite Ausstrahlung via Satellit bekommen. Diese Lizenz ist die Voraussetzung für einen Antrag zur Einspeisung ins Kabel. Ein lukratives Geschäft, das dem Sender da winkt, denn die in Deutschland lebenden TürkInnen sind ein vom Werbemarkt bislang ziemlich vernachlässigte Zielgruppe. Dabei erzielen türkische ArbeitnehmerInnen pro Jahr ein Nettoeinkommen von 18 Milliarden Mark, und Selbständige erwirtschaften jährlich einen Umsatz von 28 Milliarden. Sie werden kaum vom deutschen Fernsehen erreicht: 43 Prozent der türkischen Haushalte in Deutschland sehen nach einer Studie des Essener „Zentrums für Türkeistudien“ „auch“ deutsche Programme, sind aber im wesentlichen auf die türkischen konzentriert. Im Umkehrschluß: 57 Prozent gucken ausschließlich türkisch. Nach einer Analyse des Werbevermarkters IPA Plus hat der türkische Staatskanal TRT, der schon auf dem Kabel zu empfangen ist, ein Werbepotential von bis zu 25 Mio. DM jährlich. Diesen Kuchen will ATV 2 anknabbern.

Bislang kann über Kabel nur ein türkischsprachiges Programm gesehen werden – und das ist alles andere als unumstritten. TRT-INT ist nämlich der türkische Staatsfunk, und schon als der 1991 ins Kabel wollte, hatte es reichlich Zoff gegeben. Kein Wunder: Nach einer Expertise, die die Bremer Landesmedienanstalt in Auftrag gegeben hatte, war TRT alles andere als ein seriöses Programm. In zwei Wochen kam die damalige Opposition nur zweimal zu Wort.

An dieser Linie hat sich bis heute kaum etwas geändert, im Gegenteil: Erst in diesem Frühjahr hatte TRT für Schlagzeilen gesorgt, als der Sender in einer 56stündigen Mammut-Livesendung die ZuschauerInnen auf Linie des Militäreinsatzes gegen die Kurden bringen wollte. „Auf, Türkei! Hand in Hand mit unseren Soldaten“ Die TürkInnen sollten doch bittschön für den Militäreinsatz spenden, was dann auch prompt viele taten. Und auch außerhalb dieses Spezialprogramms kann die türkische ZuschauerIn schonmal achtjährigen Kinder bei paramilitärischen Übungen zugucken. Höhepunkt: Die Kinder werfen mit Bällen auf Pappkameraden, bei jedem Treffer ertönt ein Pistolenschuß.

Das alles soll es mit ATV nicht geben, beteuerten gestern die drei VertreterInnen des Senders bei der Anhörung. ATV sei ein liberaler Sender, der alle Seiten zu Wort kommen lasse, und das solle ATV 2 auch werden. „ATV, das ist in der Türkei ungefähr so, wie RTL hier“, bestätigt Cigdem Akkayan, Abteilungsleiterin beim „Zentrum für Türkeistudien“: ATV, ein beliebter Sender mit reichlich Unterhaltung, wo die Spielfilme sechs-, siebenmal durch Werbeblöcke unterbrochen werden – aber eben auch mit einem gerüttelt Anteil an Informations- und Nachrichtensendungen. Und die sind, ganz im Gegensatz zu denen bei TRT, unabhängig.

Dieser Vorzug ist es, der auch viele der in Deutschland lebenden TürkInnen vom Staatssender weg in die Arme von privaten Anbietern getrieben hat. Sichtbarer Ausdruck dafür ist die Satellitenschüssel vor dem türkischen Küchenfenster. Insgesamt sechs türkischsprachige Programme können mittlerweile von Deutschland aus empfangen werden, zum Teil politisch eher liberal, zum Teil eher rechtskonservativ-nationalistisch bis religiös-fundamentalistisch eingestellt. Hinter all diesen Kanälen stehen große Zeitungsverlage – von TRT abgesehen. Was alle eint: Sie senden Programme aus der Türkei über die Türkei. Spezielle Angebote für MigrantInnen außerhalb des Mutterlandes gibt es keine.

Auch das soll sich ändern, wenn man den VertreterInnen von ATV 2 Glauben schenken will. Denn erst auf die insistierenden Fragen des Landesrundfunkausschusses rückten sie damit heraus, daß sie genau so ein Programmprofil anstreben würden, mit ReporterInnen überall da, wo viele TürkInnen leben. Für die ersten Monate soll allerdings das komplette ATV-Programm aus Istanbul übernommen werden. Nur die ausländischen Spielfilme und Serien müssen in einem Studio bei Frankfurt durch türkische Eigenproduktionen ersetzt werden, weil es bei deren Ausstrahlung außerhalb der Türkei lizenzrechtliche Probleme gibt. Nach einem halben Jahr Probezeit will der Sender auch mit Eigenproduktionen aus Deutschland auf Sendung gehen. J.G.