„Kirchheimbolandener Arschloch“ Von Martin Sonneborn

Es ist nämlich so: Die Hirnzellen des stets korrekt gekleideten Architekten Pehle laufen permanent auf Hochtouren. Und da arbeitswütige Synapsen nun mal beschäftigt sein wollen, verfügte dieser freundliche Herr schon immer über eine Vielzahl an Hobbies, von denen jedes einzelne für sich genommen einen ausgewachsenen Durchschnittseuropäer eine größere Spanne des Lebens ausreichend beschäftigt hätte.

Und dann ließ eines Tages auch noch ein Wagen Herrn Pehle beim Trampen am Wegesrand stehen, obwohl er in Eile war. Der ehemalige Ursulinenschüler warf ihm ein gepflegtes „Arschloch“ hinterher und ärgerte sich, daß er den Übeltäter nicht präziser beschimpfen konnte, weil ihm die Nummernschildkombination KIB nicht vertraut war. Heute weiß der humanistisch gebildete Herr, daß die korrekte Bezeichnung „Arschloch aus Kirchheimbolanden“ beziehungsweise „Kirchheimbolandener Arschloch“ (Donnersbergkreis) gelautet hätte. Denn an diesem denkwürdigen Tage begann Herr Pehle, die deutschen Kraftfahrzeugkennzeichen zu studieren, und brachte es auf diesem Gebiet recht bald zu nicht geringer Meisterschaft. Welch ein Genuß für den Freund hochgeistiger Wettstreite aber, als Herr Pehle im Kleinwagen der Dame Tanja ein Jahr später auf Herrn Krähe traf, und die beiden anläßlich eines vorüberfahrenden FT-Kennzeichens (Frankenthal/Pfalz) feststellen durften, daß sie sich dem gleichen Wissensgebiet verschrieben hatten. Welch ein Titanenkampf, der auf der Stelle losbrach!

Schon bald jedoch bemerkten die Kontrahenten, daß die aktuellen Kennzeichen ihrem Ringen zu enge Grenzen setzten. Neben zwei Patzern im letzten Jahr – Herr Pehle ordnete MG (Mönchengladbach) einmal gedankenverloren der ostdeutschen Stadt Magdeburg zu („Ein panischer Aussetzer!“), und Herr Krähe behauptete angetrunken, es gäbe keine Kombination RZ (Herzogtum Lauenburg/ Kreis Ratzeburg, „Ein Mega- Blackout!“) – konnte niemand dem anderen eine echte Wissenslücke nachweisen.

Folgerichtig erweiterte man das edle Spiel mit den sogenannten „Auslaufenden“, also um Kombinationen, die seit der letzten Verwaltungsreform nicht mehr vergeben werden, und die sich nur noch vereinzelt an älteren Fahrzeugen finden. Seitdem die beiden Herren auch diese perfekt beherrschen, hat sich der Wettstreit eher in eine kontemplative Liebhaberei gewandelt. Und so sitzen die Spezialisten schon mal mit glänzenden Augen beim Bier und rekapitulieren, daß es auf der Insel Juist noch ein recht betagtes Feuerwehrauto mit dem Kennzeichen NOR (auslaufend) gibt und daß vom Autozug nach Sylt aus kurz hinter Niebüll in einem Hinterhof zwei Anhänger mit der Kombination NIB (auslaufend!) zu sehen sind. Oder sie brettern auf Eiderstädt über Land, um alte Trecker mit dem auslaufenden Kennzeichen TÖN zu stellen.

Für den nächsten Urlaub planen Pehle und Krähe eine Tour durch den Bayerischen Wald. Dort sind bei der Verwaltungsreform viele kleine Landkreise zusammengelegt worden, und die Aussicht auf ein paar „Auslaufende“ am veralteten Fuhrpark abgelegenster Höfe läßt die beiden Herren bereits heute vor Zufriedenheit quietschen.