piwik no script img

Autoritärer Fallout

■ Jacques Chirac siegt über Europas Demokratie

Als Jacques Chirac im fernen Moruroa die Bombe zünden ließ, entstand der größte Schaden daheim in Europa. Mit dem Atomtest wider alle Vernunft setzte sich der französische Präsident über das Europa der Bürgerinnen und Bürger hinweg. Im Namen einer vordemokratischen Staatsraison befand er, daß Frankreich und Europa seine Bombe brauchen, um sich nicht den Risiken der dreißiger Jahre auszusetzen.

Der Fallout dieser autoritären Politikvorstellung wird Frankreich und die anderen europäischen Demokratien in den kommenden Monaten heimsuchen. Europas Regierungen werden sich – nicht nur bei den Atomteststopp- Verhandlungen – vorwerfen lassen müssen, 50 Jahre nach Hiroshima nicht in der Lage gewesen zu sein, die Männlichkeitsrituale eines frischgewählten Präsidenten zu stoppen. Euer Europa der Menschen- und Bürgerrechte, so werden sie zu hören bekommen, wird zur Farce, wenn nur eines eurer Staatsoberhäupter es will. Und ihnen wird vorgehalten werden, sich in der politischen Ignoranz zumindest in einer entscheidenden Frage nicht von den Potentaten Chinas zu unterscheiden. Gerade erst haben Chiracs und Dengs Krieger gemeinsam ihre weiteren Atomtests beraten.

Chiracs stures Beharren auf dem Bombentest hat nicht nur das Ansehen und die Glaubwürdigkeit Europas in anderen Teilen der Welt beeinträchtigt. Geschadet hat es auch einmal mehr der Legitimität der europäischen demokratischen Institutionen. Sie haben sich als unfähig erwiesen, den erklärten Mehrheitswillen der europäischen Völker einschließlich den des französischen Volkes in Politik umzusetzen.

Und wieder mußten institutionell gar nicht vorgesehene und nicht durch Wahlen legitimierte Akteure wie Greenpeace in den Ring steigen, um den politischen Willen der Menschen in Europa wenigstens sichtbar zu machen. Der Professionalismus der Umweltorganisation legte dabei die Schwäche der demokratischen Organisation schonungslos offen.

Deutlich zeigte sich dieses Versagen gestern auch in Brüssel. Europas Volksvertreter begehrten am Tag nach dem Test von Europas Exekutive zu wissen, warum sie die Verletzung des Euratom-Vertrages durch Frankreichs Präsidenten einfach zulasse. Die Antwort hätten sich die Parlamentarier selbst geben können. Atombomben zünden ist für den Präsidenten ein Gewohnheitsrecht, demokratische Mitbestimmung in der Außenpolitik für Europas Regierungen nicht. Hermann-Josef Tenhagen

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen