Lidokino
: Sehr spezielle Effekte

■ Rette, wer kann: das Kino! Bertolucci und Mel Gibson tun es

In ihrer Mittwochsausgabe publizierte La Repubblica auf der Seite 1 einen Text von Bernardo Bertolucci, in dem dieser sich auf eine italienische Rezension zu Antonionis „Par delà les nuages“ bezieht, welcher ja, wie gesagt, von Wim Wenders „präsentiert“ wurde. Die Autorin Irene Bignardi hatte sich dem Film mit der ganz falschen Grundhaltung genähert! Wir möchten Ihnen diesen Text heute einmal in Auszügen präsentieren, einfach, um dem potentiellen Bignardismus unter unseren Lesern entgegenzutreten. Bitte ausschneiden und bei entsprechenden künftigen Kinobesuchen laut der Familie vorlesen.

Bertolucci schreibt: „Die Kritiker hätten hier einmal die Gelegenheit gehabt, sich Urlaub zu gönnen und den Automatismus des professionellen Richtens beiseite zu lassen. Hier mußte man sich sagen: Einen Antonioni geht man sich ansehen, nicht um ihn zu beurteilen, sondern um sich davon gefangennehmen zu lassen, um ihn zu genießen und die Tatsache zu würdigen, daß hier einer der wichtigsten Autoren der Filmgeschichte noch einmal ein solches Risiko auf sich genommen hat. Denn Michelangelos Sieg über den körperlichen Verfall, der ihn seit zehn Jahren an der Arbeit gehindert hat, ist ein Wunder (und dies sage ich

ohne leichtfertiges Pathos oder bloße Ehrfurcht). Die ungeheure Kraft, die es kostet, einen Film zu erdenken, zu schreiben, zu drehen, zu montieren und zu begleiten, resultierte hier in einer herausragenden Leichtigkeit, einer Leichtigkeit, die an Giacometti denken läßt.

Antonioni ist, damals wie heute, in der Lage, eine mysteriöse poetische Spannung zu erzeugen... Es lohnt sich auch, sich nur kurz die vielen nutzlosen und verschwenderischen Feiern zum Kinojubiläum in Erinnerung zu rufen. In dieser Lage schenkt uns Antonioni einen Film, der voller Hoffnung ist, voller Glauben an die großen Möglichkeiten des Kinos. Von Herzen Dank an Wim Wenders, der für das Zustandekommen dieses Films unverzichtbar war, Dank für seine diskrete Präsenz und auch für die ophulsische Explosion der letzten Episode des Films. Aber Wim Wenders ist eben ein wahrer Cinephiler.“

Mit der Leichtigkeit eines Giacometti möchten wir uns jetzt einem anderen Thema zuwenden: dem Aufkommen einer cinephilen Ereignisform, wie man sie bislang auf Festivals wie diesem hier nicht so kannte. Vorgestern nämlich wurden zur Premiere des dreistündigen Mel- Gibson-Ritterepos „Braveheart“ echte Pferde mit echten Männern aufgeboten. Die Männer trugen Schottenröcke, genau wie im Film. Leider wollten sie aber, auch auf Anfrage nicht, die Röcke, wie im Film geschehen, einmal vorwärts und rückwärts anheben, um auf diese Weise einfach mal die Spezialeffekte sprechen zu lassen. (Wie hieß es kürzlich auf der Geisterbahn der Aachener Kirmes: Bitte nicht an die Effekte fassen!) Das hätte die professionelle Urteilswut nämlich in Sekundenschnelle zur Hölle fahren lassen.

Der nicht übermäßig euphorisierende Tag schloß dann mit Giuseppe Tornatores Wettbewerbsbeitrag „L'uomo delle stelle“, die Geschichte eines Talentsuchers für das Kino, der in den fünfziger Jahren sizilianische Dörfer bereist. Der Film ist in Schwarzweiß gehalten, die Menschen sind in Armut gehalten, aber es ist eine schöne Armut, fast so schön wie bei Rosselini, an den das Ganze mit Macht erinnern möchte. Während der Probeaufnahmen sprechen die Menschen zu dem Sternenmann über ihr Leben, ihre Sorgen und Nöte. Es sind – Beichten! Wem also die nicht eben neue und nicht eben falsche These, das Kino habe die Kirche beerbt, noch nicht bekannt war, der bekommt sie hier vom „Cinema Paradiso“-Regisseur noch einmal mit dem Löffel verabreicht. Danach möchte man nur noch Multiplex. Mariam Niroumand