Wand und Boden: Eckchenweise Pop
■ Kunst in Berlin jetzt: Richter, Albrecht, Pieler
Auch Linksradikale können malen. Zum Beispiel Daniel Richter. Der Hamburger Ex- Punk und frühe Weggefährte der Goldenen Zitronen hat sich von der Weltrevolution ab- und der Leinwand zugewendet, als im November 1989 die Mauer fiel. Heißt es. Danach studierte er bei Werner Büttner, sympathisierte mit Albert Oehlen und schmökerte in Büchern über Situationismus und Asger Jorn. Eckchenweise findet man diese westdeutsche Jugendbiographie der achtziger Jahre auf den neun Bildern mittleren Formats wieder, die derzeit bei Contemporary Fine Arts ausgestellt sind. Im oberen rechten Winkel eines mit Farbstriemen und Paste bedeckten Gemäldes etwa ist deutlich ein Gurkenkopf à la Jorn auszumachen, einige Meter tiefer zitiert Richter die wässerigen Linien von Oehlen – nur nicht ganz so transparent. In der Mischung aus effektvoll eingesetztem spachteldickem Pink, getupften orangefarbenen Feldern oder weiträumig in Blau ausgemalten Flächen stellt sich ein aggressiver psychedelischer Effekt ein, wie auf dem Schallplattencover alter Vanilla-Fudge- oder MC 5-Platten. In einem Bild wie „Ohne Lösung“ scheint gleich die ganze Geschichte des Undergrounds mit Blick fürs Detail arrangiert und in grellen Farben aufgehoben. Die Fläche vibriert, flimmert und tanzt einem wie von selbst vor den Augen herum, und das ist ja in Zeiten von Kontextkunst und erweitertem Informationsbegriff keine Kleinigkeit. Doch Richter wird trotz seiner historischen Leitmotive nicht sentimental. Den Umgang mit allerlei unwägbaren Gesten hat er nicht den Prä- und Postpunk-Malermeistern abgeguckt, sondern bei HipHop und Karatefilmen ausgeborgt. Kunst von einem Wu-Tang-Clan-Fan.
Bis 15. 10., Mo.–Fr. 11–18.30, Sa. 11–15 Uhr, Tauroggener Straße 15
Die Arbeiten von Jürgen Albrecht sind gut mit den anderen beiden Ausstellungen der Kunst-Werke vernetzt. Bruce Naumans installierter Schock- Corridor über ihm, das verschwommene Video mit kaleidoskopischer Spielzeugarchitektur von Vito Acconci unten im Erdgeschoß und in der Mitte: Guckkästen. Seit 1986 arbeitet der von der Malerei kommende Albrecht daran, Raum in eine Bildsituation zu übertragen. Sein Trick besteht in der Reduktion auf die Zentralperspektive, deren Sogwirkung die knapp vier Meter langen hamsterhäuschenschmalen Tunnel-Modelle ausnutzen. Diese wurden von Albrecht mit ausgesägten Öffnungen unterbrochen, durch die Licht in den Gang dringt. Aus der Reihung solcher Einschnitte entstehen geometrisch sich überlagernde Schatten, die wiederum ein abstraktes Geflecht aus Kanten, Aufrissen und leuchtend hervorstechenden Flächen erzeugen. Was von außen weiß an der Wand wie eine karge Skulptur wirkt, erschließt sich im Inneren wie ein malerischer Trompe-l'oeil-Effekt, als Schichtung aus raumgewordenem Licht. Auch eine Art Minimalismus, und doch den aufklärerischen Absichten der Minimal art entgegengesetzt.
Bis 17.9., Di.–So. 14-18 Uhr, Auguststraße 69
Auf der Einladungskarte zu Hans Pielers „Diverse Prints: so & so“ sieht man das Foto einiger verhuschter Raver. Sie recken ihre sehnigen Arme etwas steif empor und sind auch sonst eher verbissen auf Love Parade eingestellt. In der Zellermayer- Galerie hängen noch weitere Szenen aus dem Amüsierbetrieb, Massenkultur nicht als Ereignis, sondern in ihrer entleertesten Form. Das ist Absicht: Pieler komponiert seine Gruppenszenen streng durch, selbst wenn sie wie ein flüchtiger Blick auf das Chaos alltäglicher Betriebsamkeit aussehen. Schon in dem bei Edition Stemmle veröffentlichten Bildband „Stopover“ hat der Fotograf Momente festgehalten, hinter deren Banalität sich Spontaneität als Konstrukt auftut, etwa das Durcheinander auf dem Deck eines Ausflugsdampfers vor Manhattan. Die neuen Arbeiten spielen das Ganze in einem Bereich durch, bei dem Lifestyle und Ödnis nicht zu trennen sind. Wo Wolfgang Tilmans auch nur mit Einzelportraits eine gewisse Lebendigkeit erzeugt, verlegt sich Pieler auf die Dramaturgie des Nicht-Geschehens. Statt seinen unbekannten Ravern Namen zu geben, numeriert er sie einfach durch, bei Nahaufnahmen vermischt sich das Leuchten der Marken-T-Shirts höchstens noch mit den Pickeln am ausrasierten Nacken. Von anderen Gruppenbildern wie den berüchtigten Feierlichkeiten der Wiedervereinigungsnacht unterscheiden sie sich nur durch die knalligeren Farben der Trainingsanzüge und Latex-Fummel. Die Techno-Jugend tendiert genauso ins Graue und Konturlose wie Menschen überall anderswo auch.
Bis 21.10., Di.–Fr. 12–18.30, Sa. 11–14 Uhr, Ludwigkirchstr. 6 Harald Fricke
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