Tanzend in den Untergang

Im Osten boomt die Clubszene, im Westen nichts Neues. Augen zu und Geld scheffeln ist die Devise mancher Clubs, doch die große Party könnten bald vorbei sein  ■ Von Ole Schulz

Im Osten ist alles anders: Nach dem Mauerfall haben im Ostteil Berlins unzählige Tanzclubs und Nachtbars in Kellerverschlägen, in ehemaligen Gewerbeetagen, Bunkern und Lagerhallen, in Hausruinen und Remisen aufgemacht. Währenddessen hat sich in Kreuzberg und Schöneberg nicht viel getan – nur die Kneipen haben überlebt, und mit ihnen ist ihr Stammpublikum in die Jahre gekommen. In der Kreuzberger Oranienstraße gibt es mit dem „Trash“ und dem „SO 36“ immerhin zwei altehrwürdige Clubs aus den achtziger Jahren. Dazugekommen ist die winzige, schlauchförmige „Schnabelbar“, die sich selbst als erste DJ- Bar Berlins preist.

Ausgehen, um die Nacht zum Tag zu machen, ist wieder angesagt; die Rubriken „Tanzen“ und „Partys“ nehmen in den Stadtmagazinen inzwischen einen wichtigen Platz ein. „Wenn schon Endzeit, dann wenigstens tanzend in den Untergang“, formuliert der notorische Nachtschwärmer Lars das neue Lebensgefühl. Das Bermuda-Dreieck zwischen Wilhelmstraße („E-Werk“), Potsdamer Platz („Tresor/Globus“) und Albrechtstraße („Bunker“) zieht an den Wochenenden die meisten Tanzwütigen an. In diese drei technotischen „locations“ pilgern an einem Samstag regelmäßig jeweils mehrere hundert Gäste – trotz der saftigen Eintrittspreise um die 20 Mark.

Doch die Zeit des ausgelassenens Feierns könnte bald vorbei sein: Nicht nur das E-Werk, sondern auch der Bunker bekommt zunehmend Schwierigkeiten. Vergangene Woche stürmte ein Trupp Polizeibeamter um 6.00 Uhr morgens den verwinkelten Bunkerbau. Gleichzeitig wurde auch die Wohnung des Bunker-Mieters Werner Vollert durchsucht. Der Vorwurf: Illegaler Betrieb einer Discothek. Anscheinend hat es Vollert, ähnlich wie die Betreiber des E-Werks, nicht so genau mit den Konzessionsbestimmungen genommen. „Augen zu, Geld scheffeln und durch“, beschreibt ein Szenekenner die laxe Haltung der jungdynamischen Clubchefs.

Allerdings greifen die Vermieter und Behörden teilweise auch auf juristische Spitzfindigkeiten zurück, um ihre ungeliebten Mieter loszuwerden. Das mußte jüngst das E-Werk erfahren. Da zauberte der Eigentümer des zur Disco umgenutzten alten Umspannwerkes, die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG) ein Gutachten aus der Schublade, nach dem Großveranstaltungen im E-Werk „eine Gefahr für Leib und Leben“ darstellen – dabei müßte der TLG schon lange wissen, daß die Betreiber des E-Werks nicht alle Baubvorschriften haarklein erfüllen. Auch Werner Vollert beschwert sich, daß zwei Bauanträge des Bunkers „aus nicht nachvollziehbaren und völlig absurden Gründen“ abgelehnt wurden. Nach den Bebauungsplänen sind in dem Gebiet nämlich keine „Versammlungsstätten“ zulässig – doch das Deutsche Theater und der Friedrichsstadtpalast liegen direkt um die Ecke.

Ein anderes Epizentrum des Nachtlebens liegt nordöstlich der Friedrichstraße. Neu ist das „Suicide“ in der Dircksenstraße. Die Macher von der Band „Atari Teenage Riot“ haben den Anspruch, progressiven Techno und Hardcore zu spielen. Das legendäre „WMF“ mußte zweimal umziehen, bevor es die Räumlichkeiten beim S-Bahnhof Hackescher Markt fand. Die Türsteher geben sich unterkühlt und überlegen, sind aber eigentlich ganz freundlich; im Tresor dagegen werden Langhaarige schon mal dumm angemacht und arrogant abgewiesen. Geschickter ist es, gleich nur Clubmitglieder reinzulassen, wie es das „Delicous Doughnuts“ in der Rosenthaler Straße manchmal praktiziert – natürlich nur, wenn zu viele Gäste da sind, versichert Olaf Kretschmar vom Doughnuts.

Wer nicht auf den Massenrausch der Techno-Paläste steht, den zieht es in einen der kleinen Clubs in Mitte und Prenzlauer Berg. Meist sind sie phantasievoll dekoriert, die Atmosphäre ist intim. Sollten diese Clubs verschwinden, dann gibt es bald nur noch Läden wie das kürzlich von der DJ- Radiostation „Kiss FM“ übernommene „Strike“. Auch hier muß man sich das Tanzvergnügen am Wochenende für schlappe zwanzig Mark erkaufen. Wenigstens bei den Eintrittspreisen hat Berlin fast schon Weltstadtniveau erreicht.