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Heidi-Urlaub im Reihenhaus

„Reisen für alle, im Dienste der Arbeit“ – die genossenschaftliche Schweizer Reisekasse (Reka) zehrt von einem sozialtouristischen Auftrag: Urlaub für Familien zu erschwinglichen Preisen  ■ Von Edith Kresta

„Im Sommer scheint Sonne, im Winter da schneit's, in der Schweiz, in der Schweiz ...“, schmetterte Vico Torriani als Werbeträger seines Landes in den sechziger Jahren live in westdeutschen Fernsehshows. Heute ist das Image der Schweiz für Sommerfrischler und Winterurlauber vor allem durch den harten Schweizer Franken geprägt. Die Schweiz ist als teures Reiseland verschrien. So fahren Familien mit Kind oder Kindern lieber gleich pauschal nach Mallorca. Nicht weil es schöner, sondern weil es billiger ist, und Heidi ist heute ohnehin etwas aus der Mode gekommen. Reizvoll ist ihre naturinnige Schweizer Klischee- und Kitschwelt zwischen Zicklein und urigem Großvater allemal. Blühende Almen, klare Luft, frei spazierende Kühe, kalte Gebirgsbäche und viel Auslauf: auch heute ein spannendes und entspannendes Gegenprogramm für autogeschädigte Stadtkinder.

Ferienwohnungen speziell für Familien mit Kindern bieten die Schweizer Reka-Zentren. „Reka“ steht für Schweizer Reisekasse. Knapp 1.000 eigene oder angemietete Ferienwohnungen vermittelt die Reka allein in der Schweiz. Die großzügigen Wohnungen mit Küche, Wohn- und Schlafzimmer sind allesamt kindgerecht ausgestattet, Spielplatz und Hallenbad sowie ein Kinder-Animationsprogramm gehören zum Angebot. Zum Beispiel Zwergenhütten bauen im Wald oder ein Kletterkurs für die Kleinen ab sieben Jahre. Garantiert ein Renner. Währenddessen dürfen die Älteren auch allein auf ermüdende Wanderungen gehen.

Das Reka-Ferienzentrum in Hasliberg-Wasserwendi im Berner Oberland beispielsweise ist nicht nur zur Ferienzeit ausgebucht. Die Urlaubsform hat viele Fans und Wiederkehrer. Sie schafft Vertrauen. Oft sind es ganze Cliquen, die sich hier am Cheminée jährlich wiedertreffen.

Mit Postbus und Gondelbahn können Mann, Frau und Kind vom Hasliberg auch ohne Auto die Umgebung erkunden: die Reichenbach- Wasserfälle, wo Conan Doyle Sherlock Holmes in der Versenkung verschwinden ließ, auf den Rosenlaui mit der telegenen Milka-Alm oder zu der Bergprominenz Jungfrau, Eiger, Mönch. Im Winter liegt die Skipiste vor der Haustür. Alles bestens eingerichtet für einen Heidi-Urlaub mit wachsenden Ansprüchen.

Schon seit 56 Jahren fördert die Reka Ferien für alle. 1939 wurde die genossenschaftlich organisierte Schweizer Reisekasse gegründet. Ihr Ziel: Ferienmöglichkeiten auch für Bevölkerungsschichten mit beschränkten finanziellen Mitteln ermöglichen. Als in Deutschland die Arbeiter „Kraft durch Freude“ schöpften, wollte man auch in der Schweiz nicht länger auf „die Funktion von Reisen und Ferien im Dienste der Arbeit“ verzichten (Reka-Broschüre). Vor allem die Gewerkschaften machten sich zusammen mit einzelnen Unternehmen für die Finanzierbarkeit der Ferien stark. Nun galt es, „das vorhandene Spartalent der Schweizer Bevölkerung in den Dienst des ebenfalls vorhandenen Ferienwunsches zu stellen“. Und so konnte jeder Arbeitnehmer, häufig mit Unterstützung der Betriebe, Reisemarken, Reisegutscheine und Reisehefte ansparen und dann mit dem Vertriebsnetz der Reka ein Feriendomizil buchen. Reka-Anlagescheine, Reka- Schecks genannt, gibt es heute noch. Ihr Ansparen über einen längeren Zeitraum ermöglicht nicht nur die Urlaubsreise, sondern setzt auch finanzielle Mittel frei für die Kalkulation im Inlandstourismusgeschäft. Ein verfügbares Kapital, das den Inlandstourismus nachhaltig fördert. Noch heute gehören der Reka 510 Unternehmen, Gewerkschaften, Verkehrsträger, Bau- und Einkaufskooperativen als Genossenschaftler an. Allerdings sind Ferien in Reka-Zentren nicht an den Erwerb der Schecks in Schweizer Betrieben gebunden. Sie sind heute für jeden, auch auf dem deutschen Markt, zugänglich.

Die Reka ist inzwischen ein marktgerechtes Unternehmen mit eigenem Vertrieb und modernem Marketing geworden – ohne Gewinnausschüttung. Der Idee preiswerter Familienunterkünfte ist man treu geblieben. Familien mit niedrigem Einkommen erhalten Rabatte bis zu 50 Prozent. Andere, die sich lange keinen Urlaub leisten konnten, werden zu Gratisferien eingeladen. Kamen früher vor allem kinderreiche Familien in den Genuß von Gratisferien, sind es heute immer mehr alleinerziehende Mütter mit Kindern.

In Zeiten unbegrenzter Freizeit- und Reisemöglichkeit, von Billigangeboten und Last-minute- Buchung riecht die Idee eines genossenschaftlich organisierten Sozialtourismus nach Mottenkiste. Heute regelt der touristische Markt hemmungslos die Reiselust. Und um auch finanzschwache Familien in den Marktkreislauf einzubinden, gewähren Reiseveranstalter sogar Kredite. Auch das sozialtouristische Projekt der Reka ist Teil des Marktes, aber im Gegensatz zu den Ramschprodukten vieler Veranstalter zehrt es noch von einem sozialen Auftrag, was sich auch in der Qualität niederschlägt.

Im Reka-Zentrum auf dem Hasliberg mißt sich die Qualität nicht am Rundum-Service oder an ausgetüftelten Animationsprogrammen. Hier ist die Wohnung einfach und komfortabel, die Möglichkeiten für Kinder sind vielfältig, die Einrichtungen von Waschmaschine bis Bibliothek sind praktisch, und der Preis ist erschwinglich. Ein unspektakuläres Angebot mit dem Charme einer schlichten Vorstadtsiedlung, aber mit guten Voraussetzungen, um Berge zu besteigen und Kühe und Murmeltiere zu begucken.

Information: Schweizer Reisekasse, Neuengasse 15, CH-3001 Bern, 0041-31-3296633.

Tourist Information Hasliberg, CH-6084 Hasliberg-Wasserwendi, Tel: 0041-36-713222.

Schweiz Tourismus, Unter den Linden 24, 10117 Berlin, Tel: 030-2012050.

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