Flair ist (fast) alles

■ Viel Nebel und Gewitter vom Band kündeten von der Wucht der Originalität, mit der Pro7 bei seinem "Herbstspektakel" die Branche zu überrollen versuchte

Die „Gesichter von Pro7“ sind in einem echten, alten, gelben amerikanischen Schulbus gekommen. Lächelnd strömen sie aus und verwandeln das Terrain zügig in eine Art Luft-Bussi-Land. Was auf den ersten Blick ein wenig skurril wirkt, hat vielleicht einen tiefen Sinn: Werden mit den meist ins Leere zielenden Küssen gar jene anderen, virtuellen Welten begrüßt, von denen so viel die Rede ist? Möglich ist alles. Schließlich gehören die jungen Leute – 31 Jahre im Schnitt sind die, die für den Privatsender aus München schaffen – zu der sich auskennenden Infoelite.

Das pfiffige Flair des Senders verlangt für die Präsentation seines „Herbstspektakels“ in Hamburg natürlich auch eine schulbuskompatible Kulisse. Das von Sat.1 oder der ARD üblicherweise für Werbezwecke gebuchte eher pantoffelige Hotel „Steigenberger“ kommt da nicht in Frage. Mit reichlich künstlichem Blattwerk wurde schließlich einer jener Altonaer Hinterhöfe auf Herbst getrimmt, die, aufgemotzt mit Glas und Stahl, einander gleichen wie eine Benetton-Filiale der anderen. Am Dienstag abend hatten auf dem ehemaligen Fabrikgelände nur vier Mannen annähernd körperlich zu arbeiten: Wie Fußballer in der Freistoßmauer stand ein Quartett Bodyguards um das weißeste Lächeln des Senders herum. Whitney Houston, Kevin Costner? Ein läppischer Witz gegen Arabella Kiesbauer und ihre vier braungebrannten Jungs.

„Countdown to the action“, drang es nach einigen Dips und Drinks aus dem „Screen Room“, in dem die Infoelite und ihre Gäste, Presseleute und mögliche Werbekunden, in Teile eines raumgreifenden Trailers verwandelt wurden. Laserprojektionen an den Wänden, von der Decke wirbelnde Blätter, viel Nebel und Gewitter vom Band kündeten von der Wucht der Originalität, mit der die Pro7-Macher die Branche zu überrollen trachten. „Fun ist ein Stahlbad, das uns die Vergnügungsindustrie unablässig verordnet“, stellten Horkheimer und Beatles-Hasser Adorno fest. Derlei kritische Gedanken erweisen sich jedoch als überaus kontraproduktiv, was das Überstehen des folgenden 150minütigen Events betrifft. In kompakte Blöcke verschachtelt, flimmert das Programm der nächsten Monate über eine Leinwand, nur unterbrochen von den Reden des Geschäftsführers Georg Kofler, des Programmchefs Jan Körbelin und des neuen Chefredakteurs Gerd Berger. Seltsam bieder wirken dabei die Verantwortlichen in ihren dunklen Anzügen neben den knalligen Trailern, in denen aufgeregte Ärzte der Notaufnahme („Glauben Sie, Sie können die Hand retten?“) oder unrasierte Harley-Fahrer („Coole Sprüche haben hier immer Vorfahrt“) schon jetzt von künftigen Adrenalinkicks künden.

Besonders gering der Wallungswert der Rede von Jan Körbelin. Dem von Sat.1 okkupierten Erregungsmassiv Fußball will er ein Profil aus amerikanischen Spielfilmen, Sitcoms, Eigenproduktionen und seriösen Nachrichten entgegensetzen. Die „Dokumentationen“ natürlich nicht zu vergessen. Das Genre meint bei Pro7 ausschließlich Tier- und Reisefilme, die sieben Folgen der Eigenproduktion „Weite Welt“ etwa, in denen es um „Eingeborenenkämpfe mit Buschmessern oder gefährliche Wasserwürmer“ geht. Nach einer guten Stunde Körbelin bündelt Georg Kofler, schließlich ist er der Boß, die Ungeduld im „Screen- Room“ durch antreibendes Klopfen auf seinen Oberschenkel. „War ich zu lang?“ fragt der Mann, der bis März im Büro von Leo Kirch tätig war, den Kollegen Berger. „Ja“, verstärkt dieser, schon selbst auf dem Weg zum Podium, gnadenlos das leichte Schwitzen des Fragenden. „Mach einfach die besten Nachrichten Deutschlands!“ lautet der ebenfalls nicht wenig schweißtreibende Auftrag, den der 45jährige Berger, dem man sich in diesem Kreis für seine grauen Haare zu spontaner Dankbarkeit verpflichtet fühlt, von seinem Geschäftsführer mit auf dem Weg bekommt. Leicht pathetisch wirkt dann auch Gerd Bergers Gerede von der „alten Dame Tagesschau“, der man ihre enorme Informationslast „von den Schultern nehmen“ müsse. Selbst für einen, der „ZAK“, „Stern-TV“ und „Schreinemakers Live“ in die mediale Umlaufbahn brachte, scheint die Zerschlagung des kollektiven Ritus „Tagesschau gucken“ ein wenig hoch gegriffen.

Am Ende der Präsentation laufen ein paar Dutzend bekannte Gesichter auf, die ihre Mitwirkung in Eigenproduktionen damit bezahlen, daß auch sie jetzt zu den Pro7-Gesichtern addiert werden. Blumentöpfe und eingepackte Regenschirme werden überreicht. „Heute erhält jeder ein Präsent“, lächelt Moderatorin Sabine Chris Appelhagen in den halbleeren Raum. Die Bodyguards von Frau Kiesbauer sind nirgends mehr zu sehen. Nichts scheint mehr schiefgehen zu können. Claudia Thomsen