Die Nato-Planungen für Bombardements in Westbosnien könnten die Chance auf einen Friedensschluß gefährden. Statt für einen funktionierenden Staat Bosnien-Herzegowina einzutreten, schlittern die westlichen Mächte in eine Verlängerung und Aus

Die Nato-Planungen für Bombardements in Westbosnien könnten die Chance auf einen

Friedensschluß gefährden. Statt für einen funktionierenden Staat Bosnien-Herzegowina

einzutreten, schlittern die westlichen Mächte in eine Verlängerung und Ausweitung des Krieges.

Schritt über den Rubikon?

Das Bedürfnis nach Gott ist kein Beweis seiner Existenz. Das gleiche gilt auch für den Teufel. In der hiesigen öffentlichen Meinung ist die Auffassung weit verbreitet, bei den Herren Karadžić und Mladić handle es sich um die schiere Verkörperung des Irrationalen = Bösen. Das kommt unserem westlichen Bedürfnis nach Teufeln oder wenigstens Unterteufeln in der Politik entgegen.

Im Gegensatz zu solchen Meinungen gilt es daran festzuhalten, daß die Führer der bosnischen Serben zwar Kriegsverbrecher sind und eine lokale Variante des Faschismus praktizieren, ihr politisches Handeln aber rationalen Kalkülen folgt. Mord, Vertreibung und Bombenterror gegen die wehrlose Zivilbevölkerung haben das gewünschte Ergebnis gezeitigt: ethnisch purifizierte Territorien. Rational war es auch, anläßlich des ersten UNO-Ultimatums nach dem Blutbad auf dem Marktplatz von Sarajevo zurückzuweichen. Wie auch die jetzige Weigerung, trotz des Bombardements schweres Kriegsgerät von den Höhen um Sarajevo zurückzuziehen, den Regeln dieser Art instrumenteller Vernunft folgt. Denn diese Waffen sind das Erpressungsinstrument, mit Hilfe dessen die Teilung Sarajevos im Rahmen des „Friedensplans“ erzwungen werden soll. Diese Teilung aber wäre identisch mit der wenn nicht juristischen, so doch faktischen Auflösung des Staates Bosnien-Herzegowina.

Die westlichen Mächte innerhalb der „Kontaktgruppe“ hatten auf genau diese Art Rationalität gesetzt, als sie (spät genug) beschlossen, militärische Gewalt für drei Ziele einzusetzen: Sicherheit für die verbliebenen „Safe areas“, Öffnung der Zufahrtswege und garantierte Versorgung für die Bevölkerung. Dazu war es notwendig, den Luftraum zu kontrollieren, weshalb Kommandozentralen und Feuerleitsysteme der bosnischen Serben angegriffen wurden. Gleichzeitig sollte den bosnisch- serbischen Truppen ein Weg offen bleiben: Sie sollten in der Lage sein, ihre schweren Waffen tatsächlich abzuziehen.

Diese Art begrenzter Gewaltanwendung schien um so aussichtsreicher, als die Führung der bosnischen Serben unter dem Druck der restjugoslawischen Regierung steht, die – zu Recht – den in Belgrad erzielten Kompromiß für das Maximum des Erreichbaren hält. Die Regierung Milošević setzt darauf, daß die westlichen Staaten unter Erwartungsdruck geraten, wenn es um die endgültige Fixierung der innerbosnischen Grenzen geht, und daß sie weitgehenden Konzessionen zugeneigt sein werden – um den „jugoslawischen Komplex“ loszuwerden. Die militärische Aktion soll der politischen Lösung den Weg ebnen – soweit alles streng nach Herrn von Clausewitz.

Das Problem liegt in der sogenannten „Option drei“, auf die sich die militärischen Planer der Nato Anfang August einigten. Nach dieser Planung wäre die Infrastruktur des westlichen Bosnien – Brücken, Straßen, elektrische Versorgungssysteme, waffenproduzierende Industriebetriebe – Ziel von Luftangriffen. Dies für den Fall, daß die laufenden Optionen eins und zwei nicht den gewünschten Effekt zeitigen. Während die jetzigen Operationen durch ein Mandat des Sicherheitsrates gedeckt sind, ist das bei Option drei mehr als unsicher. Die militärischen Operationen würden sich in Richtung Golfkriegsszenario bewegen, der UNO-Einsatz unterläge den Voraussetzungen des Kapitels VII der UNO-Charta. Bedenkt man die Position Rußlands (und Chinas) zu Bosnien-Herzegowina, so ist die Zustimmung dieser beiden Mitglieder des Sicherheitsrats zu einer derartigen Operation so gut wie ausgeschlossen. Die Nato wäre also gezwungen, „auf eigene Rechung“ vorzugehen.

Es geht überhaupt nicht darum, daß UNO beziehungsweise Nato zur „Neutralität“ zwischen beiden Seiten verpflichtet wären, schließlich ist Bosnien-Herzegowina, ein souveräner, international anerkannter Staat, das Opfer einer Aggression geworden. In Frage steht vielmehr, ob das politische Kalkül der westlichen Mächte, das Zusammenwirken von „Kriegführen und Verhandeln“, durch eine Militäraktion nach „Option drei“ nicht ernsthaft gefährdet wäre. Von den westlichen Politikern hat sich niemand dafür ausgesprochen, einen Frieden auf der militärischen Niederlage der bosnischen Serben beziehungsweise Restjugoslawiens zu gründen. Nachdem – Folge der Rückeroberung der Krajina durch Kroatien – das großserbische Projekt in seiner ursprünglichen Form gescheitert ist, geht es den westlichen Staatsleuten um die Durchsetzung des faktischen Teilungsplans unter Wahrung der völkerrechtlichen Fassade. „Option drei“ hingegen könnte zur Folge haben, daß Serbien offen (und nicht wie bisher verdeckt) in den Krieg eingreift, Rußland in großem Stil als Waffenlieferant auftritt und sich damit jeder Gedanke an einen Friedensschluß verflüchtigt.

Die UNO und die westlichen Mächte hätten es in der Hand gehabt, vor drei Jahren mit geringem militärischen Einsatz den großserbischen Chauvinisten in Bosnien- Herzegowina ihre Grenzen zu zeigen. Ihre Pontius-Pilatus-Haltung stürzte Hunderttausende von Menschen ins Verderben.

Jetzt, unter gänzlich veränderten politischen und militärischen Bedingungen, wäre es ihre Aufgabe, am Verhandlungstisch dafür zu streiten, daß Bosnien-Herzegowina als funktionierender, föderalisierter Staat wiederhergestellt wird. Sie könnten Etappenziele auf diesem Weg formulieren, sie könnten mit umfangreicher Wiederaufbauhilfe locken, sie könnten sich sogar das Angebot zu eigen machen, alle Staaten der Region der EU zu assoziieren. Aber paradoxerweise geben sie gerade dieses Verhandlungsziel von vorneherein preis, während sie gleichzeitig auf dem Schlachtfeld Optionen erwägen, die auf eine Verlängerung und Ausweitung des Krieges hinauslaufen. Was sie wiederum nicht wollen. Sie sind, wie es ein Diplomat der Herald Tribune erklärte, „im Begriff, den Rubikon zu überschreiten“. Fragt sich nur, in welcher Richtung. Christian Semler