Zeige dein Tattoo

■ Maoris in den Vorstädten, wie in den Mount Rushmore gehauen: "Once Were Warriors" von Lee Tamahori

Noch nie sah man solch riesige Menschen im Kino. Gesichter, Arme, Torsi, selbst die Stimmen in diesem neuseeländischen Spielfilm haben Osterinsel-Format. Gelegentlich aufflackernde Erinnerungen an Arno Breker verfliegen im Laufe des Films, in dem immer mehr Tattoos die Körper überziehen. Von mir aus hätte „Once Were Warriors“ ganz ohne Ton funktioniert, als Körperspektakel gleich einem japanischen Sumo- Ringkampf.

Aber der Ton erzählt: wie Jake, ein Bulle, Hüne, Stier von einem Kerl und die ebenfalls riesige Beth ein Teenagerpaar der Vorstädte waren vor achtzehn Jahren, wie seitdem Kind um Kind hinzukam, und Bier um Bier – riesige Biere! – wie lustig und laut es war. Am Abend des Nachmittags, an dem der Film einsetzt, kommen enorme Freunde zu Besuch und stimmen zur Gitarre ein paar Lieder an. Glücklicherweise klingen sie nicht nach diesen Balladen, zu denen dann in Filmen aus Übersee immer so bedenkliche Gesichter gemacht werden.

Nein, es handelt sich eher um Gassenhauer, Zotiges, auch Amerikanisches, und alle singen, und Beth und Jake werfen sich lüsterne Blicke zu, schieben sich zwischen Tür und Angel die Zungen in den Hals, die andern tun das auch, und man fühlt sich gerade so richtig munter, als es – zooooinnng – auf Beths Kinn herabsaust.

Irgendwas hat den Stier geärgert, sein Gesicht gleicht plötzlich dem eines Pitbull-Terriers, und er hört nicht eher auf, als bis Beth sich nicht mehr rühren kann. Die Kinder kennen die Melodie und bleiben klamm in ihren Betten; am Morgen sieht sie aus, als sei sie über Nacht vierzig Jahre gealtert.

Dann geht alles Schlag auf Schlag: Ihr Sohn Boogie hat eine Gerichtsverhandlung wegen Autodiebstahls, ihre Tochter wird von einem guten Freund der Familie auf einer der Endlosparties vergewaltigt, ein anderer Sohn schließt sich einer Truppe von Straßenkriegern an. Dazwischen immer wieder als Refrain die Eruptionen des Jake-Vulkans, von denen man halb faszinierte, halb eingeschüchterte Bilder bekommt.

Unterschiedliche Überlebensstrategien werden von den einzelnen Kindern durchgespielt, man kennt sie zum Teil aus „Roots“: Schulbesuch, privates Künstlertum (die kleine Grace schreibt Kurzgeschichten), Delinquenz und schließlich Anschluß an die verschüttete maorische Tradition vor der Sklaverei, mit Hilfe von Tätowierung und Körperertüchtigung.

Man muß sich nur kurz an die Maoris bei Jane Campion oder Peter Weir erinnern, um zu merken, daß hier etwas ziemlich Ungewöhnliches passiert. Diese Leute sind alles andere als ein Naturreservat schöner, klarer Menschen. Sie sind aber auch keine lebenden Anklagen: Seht, was der Brite uns getan.

Vielmehr steigen sie in die „Warrior“- Tradition ein wie Spike Lees Protagonisten in die „Nation of Islam“ – Fundamentalismus als soziales Netzwerk, brüchig, fadenscheinig, zurechtgeschustert und trotzdem besser als der Suff. Die Warrior-Tattoos breiten sich auf den Körpern aus, als kämen sie von innen, als sei eine falsche Schlangenhaut abgeworfen und als trete nun die erste Natur wieder zutage. Das ist ethnokitschig genug, um wahr zu sein. Mariam Niroumand

„Once Were Warriors“, Regie: Lee Tamahori. Mit: Rena Owen, Temuera Morrison, u.a. Neuseeland, 1994, 99 Min.