Russische Ängste

■ betr.: „Nationale Stimmungsma che“ von Erhard Stölting, taz vom 9.9.95

Natürlich ist Jelzin kein Pazifist. Seit dem Sturm des Weißen Hauses 1993, seit dem Krieg gegen Tschetschenien klebt Blut an seinen Händen. Und spätestens nach dem Genozid an der tschetschenischen Bevölkerung sollte sich Jelzin auch nicht mehr darüber wundern, daß die Osteuropäer immer mehr den Anschluß an die Nato suchen.

Trotzdem: die russischen Ängste vor einer Nato-Erweiterung mit der Bemerkung abzutun, Jelzin sei kein Pazifist und außerdem sei viel von seiner Rhetorik gegen die Nato mit russischer Innenpolitik zu erklären, halte ich politisch für gefährlich. Zu groß ist in Rußland bei Menschen aller politischen Schattierungen die Angst vor der Nato- Erweiterung. Und ich kann das ehrlich gesagt auch gut verstehen. Die Ausbreitung eines Militärbündnisses Richtung Osten, das sich nach wie vor die atomare Erstschlagsoption offenhält und zur militärischen Sicherung „unserer“ Rohstoffe bereit ist, kann auf Rußland nicht gerade beruhigend wirken.

Eine Erweiterung der Nato Richtung Osten spielt den Falken der russischen Außenpolitik in die Hände. Sie werden diese Chance nutzen und die Republiken der früheren Sowjetunion wieder stärker an sich binden. Sollte es zu einer Neuauflage des Warschauer Paktes kommen, können wir uns dafür bei den Falken in Rußland und den Befürwortern einer Nato- Erweiterung bei uns bedanken. Bernhard Clasen,

Mönchengladbach