■ Weltkulturerbe Wurstbude
: Fettspritzer des Ruhms

Die Medienlandschaft ist so transparent wie schmurgelndes Bratenfett. Dies wurde einmal mehr deutlich am Beispiel der saarländischen Stadt Völklingen, seiner Stahlhütte – und seiner Bahnhofswurstbude.

Wie wir alle wissen, erklärten die Weltbildungsbürger der Unesco in diesem Sommer die Völklinger Stahlhütte zum „Weltkulturerbe“. Unsere Geschichte beginnt also in den heißen Wochen des August 1993. In den USA steckte damals die Unesco-Kommission die Köpfe zusammen, um über den kulturellen Nährwert der stillgelegten Stahlhütte zu beraten. Gleichzeitig brütete in Berlin die damalige Wochenpost-Redakteurin Christiane Grefe über einer Recherche für ein Stadtportrait Völklingens.

Sie fragte den zufällig anwesenden Autor dieser Zeilen, ob er weitere Gesprächpartner kenne, da er doch beinahe 30 Jahre im Saarland verbracht habe. Sie hörte vom jährlich stattfindenden Kleinkunst-Festival in der ehemaligen Glasbläserhalle und war interessiert. So wurde denn ein Programmheft nach Berlin geschickt, mit der gutgemeinten Randnotiz, die Reporterin solle unbedingt eine Bratwurst vor dem Völklinger Bahnhof kosten. Dort gebe es nämlich „die beste Westeuropas“ (belegt war der Gourmant-Tip durch die Verkostung einer Currywurst im Jahre 1985).

Wenig später fand sich in der Wochenpost ein doppelseitiges Portrait von Völklingen. Christiane Grefe hatte tatsächlich nicht versäumt, die Bude vor dem Bahnhof zu besuchen, und kolportierte: „Die beste Westeuropas“. Der Zufall (und nur der) wollte es, daß zur gleichen Zeit das Burda-Magazin Focus ebenfalls über Völklingen schrieb.

Soviel Investigation blieb auch der Saarbrücker Zeitung nicht verborgen, und so brachte das Blatt nur wenige Tage später auf der ersten Lokalseite die Schlagzeile „Völklingen im Blickpunkt überregionaler Magazine“. Da war zu lesen, welche Eindrücke Grefe & Co. in der ehemaligen Industriestadt gesammelt hatten. Als sensationell wurde die Entdeckung der Bratwurstbude vor dem Bahnhof empfunden. Zwischen den Zeilen zog man gar Parallelen zu Kolumbus oder der Mondlandung. Der jahrhundertealte saarländische Traum vom Ende des kulinarischen Diktats der Franzosen hatte sich, so schien es, auf wunderbare Weise erfüllt.

Die Eigentümer der Völklinger Bratwurstbude gehören zwar nicht zu den Abonnenten der Saarbrücker Zeitung. Sie lesen sie auch nicht. Trotzdem entging ihnen die Nachricht von ihrem Europatitel nicht. Ein neugieriger Bratwurst- Neukunde brachte die frohe Botschaft. Er blieb nicht allein: Die plötzlich landesweit bekannte Wurstbude wurde zum Zentrum der Phosphatschlemmer-Gemeinde.

Der Saarländische Rundfunk und RTL meldeten sich daraufhin mit dem Wunsch, die heiße Hütte zu porträtieren, an deren Außenwand längst der Artikel aus der Saarbrücker Zeitung klebte. Lukullische Trittbrettfahrer erkannten die Gunst der Stunde und errichteten vor dem Völklinger Bahnhof eine zweite Wurstbude, auf daß Fettspritzer des Ruhms auf sie herüberzischten.

Mit einigem Abstand läßt sich heute sagen, daß damals die Lebensmittellandkarte Europas neu gezeichnet wurde. Sogar die Mitte August dieses Jahres bekanntgegebenen Unesco-Auszeichnung für die Ex-Stahlhütte Völklingen sorgte nicht für soviel Aufwallung saarländischen Gefühls. So was kommt erst wieder, wenn die Frittenbude auf der Liste des Weltkulturerbes landet. Frau Grefe, Herr Markwort, Dr. Thoma – übernehmen Sie! Wolfgang Jung