Der Schmuddelige gewinnt

■ Heinz Holliger mit den NDR-Sinfonikern in der Musikhalle

An Haydn sind schon ganz andere gescheitert. Heinz Holligers Sache ist der spezielle Haydn-Ton jedenfalls nicht. So zu hören zu Beginn des Konzerts mit dem NDR-Orchester in der Sinfonie Nr. 104. Mit guter Margarine wurde da gebraten. Wo es doch ausschließlich mit wienerklassischem Speck geht.

Holliger, einer der weltbesten Oboisten, dirigiert nicht nur, er komponiert auch. (S)irato, seine Monodie für großes Orchester, ist eine (An)klage zum Tod des verehrten Lehrers Sándor Veress (1907-1992), den Holligers Schweizer Landsleute offenbar schlecht behandelt haben. Aus tiefsonoren Streicherregistern entfächert und verräumlicht sich da eine „monologische Klangrede“ (Holliger), wird hochdramatisch zum vielstimmigen Klangereignis (Celesta, Harfe, ungarische Cimbal) und schwindet alsdann im Schlußgesang der höchsten Streicher, begleitet von Doppelschlägen der Schlagwerker wie am Schluß von Mahlers letzter Sinfonie – heutige Musik mit allem, was Hören bewegend und spannend macht.

Der Geiger Thomas Zehetmair nach der Pause sah etwas schmuddelig aus im weißen Rolli und Fünftagebart, unvorteilhaft seine Bewegungen, er muß geradezu gegen seine Erscheinung anspielen. Er gewann haushoch.

Holliger half mit sorgfältig eilenden Tempi in den Ecksätzen; der für das Stück typische Wechsel von Konzert zu Sinfonie und zurück klappte perfekt. Was Zehetmair dem abgedudelten Werk an kammermusikalischen Feinheiten entlockte, was er dem Klangkörper seiner Geige an Schmelz und Geläufigkeit abgewann, raubt den Atem in den brillant hingelegten Kadenzen, macht seufzen im geigerischen Belcanto des Larghetto. Stellvertretend fürs Publikum sank Konzertmeister Greutter dem Solisten im Schlußapplaus an die schmale Brust, neidlos erschüttert, genußbeglückt.

Stefan Siegert