Der große alte Mann der Bücher

■ Der Verleger Gottfried Bermann Fischer ist tot. In seinen 98 Lebensjahren rettete er den Fischer Verlag über die Nazizeit und entdeckte zahlreiche Literaten Von Daniel Haufler

Der große alte Mann der Bücher

Vor vierzig Jahren fuhren Gottfried Bermann Fischer und seine Frau Brigitte zum ersten Mal die kleine schmale Straße steil hinauf in die Hügel des Toskanischen Apennin. Sie hatten den italienischen Verleger Mondadori besucht und wollten sich noch ein wenig umsehen. Da entdeckten sie ein wunderbares freies Stück Land fast am Ende der Straße: Spontan entschieden sie, dort ihren Ruhesitz zu bauen. Aber schon lange vor dem Ruhestand begannen die Bermann Fischers Ende der fünfziger Jahre, wieder einen Teil des Jahres dort zu leben. Obwohl sie den S. Fischer Verlag über die Nazizeit und die Emigration gerettet hatten und in Frankfurt am Main erfolgreich wieder aufbauten, kehrten sie nie wirklich nach Deutschland zurück.

Bermann Fischer war auf seine Aufgabe als Verleger und Nachfolger des Verlagsgründers Samuel Fischer denkbar schlecht vorbereitet. Er stammte aus dem provinziellen Gleiwitz in Oberschlesien und hatte nach dem Ersten Weltkrieg Medizin in München studiert und bei Professor Sauerbruch promoviert. „Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen den Blinddarm herausnehmen“, scherzte er 96jährig im Interview (s.u.). Erst in Berlin und dank seiner Leidenschaft für die Musik kam er mit den Künstlern und Intellektuellen zusammen. Er spielte Bratsche in einem Streichquartett, das eine Tochter Bruno Cassirers leitete. Als er mit ihr den Expressionistenball im berühmten „Palais de Danse“ besuchte – nicht so recht bei der Sache, da er alle zwei Stunden lebende Zellkulturen in der benachbarten Charité mit Nährflüssigkeit versorgen mußte –, lernte er die Tochter Samuel Fischers kennen. Brigitte Fischer führte ihn im Hause ihres Vaters ein, und der Hochzeit stand nur eine Frage im Wege: Würde er bereit und fähig sein, das Erbe des großen Verlegers anzutreten?

Bermann gab schweren Herzens seinen Beruf auf, nahm den Namen Fischer an und saß schon am 1. Oktober 1925 an einem Schreibtisch direkt neben Samuel Fischer. Dort nahm er vom ersten Tag an allen wichtigen Verhandlungen und Entscheidungen teil. Zudem machte der Lyriker Oskar Loerke ihn mit der modernen Literatur und den Schriftstellern des Verlages vertraut. Bermann Fischer entdeckte schon am Ende der zwanziger Jahre junge Schriftsteller wie Manfred Hausmann. Und er sorgte dafür, daß Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ im Verlag erschien, obwohl sich der Autor mit Samuel Fischer zerstritten hatte: „Döblin kommt mir nicht mehr ins Haus“, hatte der bestimmt – Bermann ließ dennoch über seine Schwiegermutter Döblin zu einer Lesung einladen, und Samuel Fischer war begeistert. Ebenfalls gegen die Einwände seines Schwiegervaters setzte Bermann 1929 die Volksausgabe der „Buddenbrooks“ durch – einen Vorläufer des Taschenbuchs. Damit verschaffte er sich als Verleger die Anerkennung seiner Kollegen und galt als würdiger Nachfolger.

Aber schon Anfang der dreißiger Jahre änderte sich das kulturelle und politische Klima im Land. Bermann ahnte schon früh, daß auf den Verlag eine schwere Zeit zukam, und hatte deshalb das Verlagsvermögen bereits 1929 in die Schweiz transferiert. 1932 übertrug er auch die Verlagsrechte einer Schweizer Tochterfirma. Am liebsten wäre er mit dem ganzen Verlag ausgewandert, aber das ließen die Schweizer nicht zu. Außerdem gehörte das Unternehmen noch mehrheitlich Samuel Fischer, der einfach nicht glauben wollte, daß die Deutschen ihre Dichter und Denker vertreiben und die Juden vernichten wollten. Erst nach Fischers Tod organisierte Bermann 1936 den Umzug des Verlags nach Wien. In Berlin verwaltete Peter Suhrkamp ein Rumpfunternehmen mit den in Deutschland noch nicht verbotenen Autoren wie Hermann Hesse.

Österreich wurde schließlich nur die erste Etappe einer langen Odyssee, die Bermann über Rapallo und Stockholm nach New York führte. Trotz dieses gehetzten Lebens gründete er überall neue Verlage, führte teilweise den Stockholmer Verlag per Kabel von Amerika aus und begann mit großen Werkausgaben von Thomas Mann und Hugo von Hofmannsthal. Damit belieferte er deutschsprachige LeserInnen auf der ganzen Welt. Dabei unterstützten ihn viele Kollegen und Autoren, aber er mußte auch immer wieder Anfeindungen verkraften.

So schlug ihm Thomas Mann 1939 vor, doch seinen alten Beruf als Arzt aufzunehmen. Gerhart Hauptmann, einer seiner besten Autoren und Freunde, biederte sich bei den nazistischen Herrschern an und jubelte über die Besetzung Wiens: Nachdem Bermann und seine Familie dort nur knapp der Gestapo entkommen waren, rief ihnen Hauptmann am nächsten Tag im Flur des Hotels Excelsior in Rapallo zu: „Der Traum von Heinrich Heine ist in Erfüllung gegangen. Wien wird die Hauptstadt Europas!“ Dieses Verhalten Hauptmanns, den er als „absolut charakterlos“ bezeichnete, und zahlreicher anderer Künstler empfand Bermann als Verrat.

Bermann setzte in den fünfziger und sechziger Jahren gemeinsam mit seiner Frau, die erfolgreich als Verlagsdirektorin diesen Bereich verantwortete, auf sein Taschenbuchkonzept, teilweise eine Idee von Brigitte Fischer. Zudem machte er zahlreiche amerikanische, russische und italienische Autoren wie Thornton Wilder, Boris Pasternak und Italo Calvino in Deutschland bekannt.

Als er 1963 sich aus der Verlagsarbeit zurückzog, konnte er auf ein beachtliches Lebenswerk zurückblicken, und nicht umsonst überschrieb er seine 1967 erschienenen Memoiren mit dem Titel „Bedroht – Bewahrt“. Am vergangenen Sonntag ist der letzte der großen Verleger in seinem toskanischen Haus im Alter von 98 Jahren gestorben.