Lichtspiele
: Ein bedeutendes Werk, ein klasse Leben

■ 100 Jahre Genrekino: das Biopic, dieser Tage wieder schwer im Kommen: Erst verkannt, aber dann!

Zur Zeit laufen „Ed Wood“, „Mrs. Parker“ und „Homerun“ im Kino, und was haben sie gemeinsam? Na? Es sind „biopics“, „biographical pictures“, und zwar schwer ambitionierte: Biopics, die keine sein bzw. das Genre transzendieren wollen – mir haben sie jedenfalls nicht gefallen.

Als Genre ist das Biopic das aller anspruchsloseste und verlogenste: Man nimmt eine (reale) Lebensgeschichte, in der Regel ist es die eines toten weißen Mannes, der etwas Bedeutendes gemacht haben soll – so weit, so gut. Aber die klassische Genre-Konvention verlangt nun, daß diese Geschichte als eine tragische erzählt wird nach dem Motto: Entweder ein bedeutendes Werk („÷uvre“) oder ein klasse Leben. Wer also wunderbare Songs wie „Foggy Day“, „Fascinating Rhythm“, „Embraceable You“ und andere geschrieben hat, viel Geld damit verdient, mit „Rhapsody in Blue“ sogar in richtigen Konzertsälen von richtigen Dirigenten aufgeführt wird – der kriegt keine schönen Frauen, und früh sterben, mit 38 Jahren, muß George Gershwin auch noch.

Oder die „Glenn Miller Story“ mit James Stewart in der Hauptrolle. Glenn ist ein guter Posaunist, sogar in schwarzen Clubs darf er mal mittuten, und auch seine Arrangements sind nicht ohne, aber mit seiner eigenen Band hat er keinen rechten Erfolg.

Es dauert jedenfalls furchtbar lange, immer wieder guckt Jimmy Stewart sinnend und grübelnd in die Kamera und sagt: „Das ist es noch nicht, das ist noch nicht der Sound, von dem ich träume...“ Aber eines Tages, bei irgendeinem Konzert, fehlen die Blechbläser oder die Streicher oder was weiß ich – ein dummer Zufall führt ihn auf den richtigen Weg, bringt den richtigen Sound, der alle verzaubert, und plötzlich dirigiert Jimmy Stewart keine normale Mittelklasse-Tanzkapelle mehr; die Kamera zeigt sein Gesicht, wie es sich entspannt, verklärt: Ja, das ist es, mein Traum ist Realität geworden, und wir sehen, was er nicht sieht, nämlich wie das Publikum zu tanzen aufhört, zur Bühne drängt und nur noch der Musik lauscht. Dann bricht der Beifall los, erstaunt dreht sich Jimmy um, strahlt endlich, und nun erscheinen diese rotierenden Zeitungen auf der Leinwand, mit Schlagzeilen wie „Miller-Band feiert Erfolg in Chicago“ oder „Glenn Miller verkauft sehr viele Schallplatten“ oder „Miller- Sound macht Menschen süchtig“. Und zwischen den Schlagzeilen fährt ein Zug durch die Nacht, die berühmtesten Songs werden angespielt – wir wissen, daß wir es geschafft haben.

Nun könnte der Film aufhören, alles wäre in Ordnung, tut er aber nicht. Das klassische Biopic zeigt immer auch den Preis, der für den Erfolg zu zahlen ist: Liebe, Ehe, Freundschaft gehen in die Brüche, denn Ruhm, der alte Zerstörer, machen fies. (Das sehen wir deswegen ganz gern, weil sich unser Ruhm ja noch einigermaßen in Grenzen hält.) In der „Glenn Miller Story“ ist es noch schöner und bedeutender: 1944, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, stürzt unser Held über dem Kanal ab und stirbt, mit 40 Jahren.

Der Film ist von Anthony Mann. Als ich ihn das erste Mal sah, Mitte der fünfziger Jahre, war ich acht oder neun. Eine Szene hat sich besonders eingeprägt: eine große Parade, Marschmusik, und Glenn Miller, in Uniform, geht einfach zur Kapelle und übernimmt sie. Und plötzlich swingt die Musik, swingt die Armee und ich kleiner Junge habe gewußt: Soldaten, die beim Marschieren mit dem Hintern wackeln können, sind unbezwinglich. Oder: Miller gibt in England ein Konzert unter freiem Himmel. Plötzlich Bombenalarm – aber die Band spielt weiter, und das Publikum rennt nicht weg. Dagegen, das wußte ich sofort, kommen die Nazis nicht an. Soweit zur gelungenen Reeducation.

Die vier ehernen Gesetze des Biopic lauten also: Genie; erst verkannt; aber dann; Unglück bzw. früher Tod. Das ist wahrlich ein schlichtes Schema, stößt schon hart an die Dämlichkeitsgrenze – und daher ist es von lauterer Wahrheit. Oder stimmt es etwa nicht, daß Sie viel liebenswürdiger und begabter sind als diese Typen, die die schönsten Frauen und das dickste Geld bekommen? Will sagen: Da jeder Mensch ein bißchen größenwahnsinnig ist oder sein sollte, kann er sich gelegentlich für ein Genie halten, womit das erste Biopic-Gesetz erfüllt wäre; da das niemand außer ihm weiß, ist er also verkannt (zweites Gesetz); und unglücklich ist man sowieso, bzw. tot wird man bald sein (viertes Gesetz) – fehlt nur der dritte Punkt: groß rauszukommen. Aber solange wir noch atmen, liebe Leserin, lieber Leser, geben wir die Hoffnung nicht auf. Und wer weiß, vielleicht gelingt es mir mit dieser großartigen Artikelserie, eine gewisse Aufmerksamkeit, Begeisterung gar hervorzurufen...

Ihnen und mir fehlt also leider ein Werk. Dorothy Parker hat es, und deswegen kann man ein Biopic über sie drehen. Alan Rudolph hat es aber leider vermasselt. Er zeigt uns nämlich nicht das Besondere von Mrs. Parker. Wir sehen eine Bande von Journalisten und Kulturbetriebsgaunern, die um einen Stammtisch – auch wenn er in New York und im Algonquin steht: Es ist ein Stammtisch – herumsitzen und schwadronieren; gelegentlich nicht unwitzig, wenn man bei dem Gegröle etwas versteht, aber auch nicht besser als Sie und ich, wenn wir in Fahrt kommen. Und es wird erheblich getrunken. Aber ich sitze doch nicht im Kino, total nüchtern, um mir zwei Stunden lang eine Bande von Schluckspechten anzuschauen! (Wenn ich Alkoholiker sehen will, gucke ich in den Spiegel – ist nur ein Witz.)

Alan Rudolph zeigt uns nicht das Werk: Alle Viertelstunde, in Schwarzweiß, damit man's auch ja merkt („Verfremdung!“), zitiert Mrs. Parker (gut gespielt von Jennifer Jason Leigh), stur in die Kamera blickend, mit whiskygegerbter Stimme, Gedichte. Die sind leider verdammt schlecht, und die Inszenierung ist so neckisch-pathetisch, daß der Zuschauer Parkers Werk für ein Gerücht halten muß. In keiner einzigen Szene wird vorgeführt, wie es entsteht. Natürlich ist das bei einem Schriftsteller schwieriger als bei Musikern, aber man muß es doch zumindest versuchen!

„Homerun“ ist ein Film von Ron Shelton über den amerikanischen Baseballstar Ty Cobb (gespielt von Tommy Lee Jones, etwas knatterchargenmäßig, aber nicht schlecht), doch von Baseball ist nichts zu sehen, vielleicht fünf Minuten. Statt dessen werden wir mit den rassistischen Tiraden des sterbenskranken Cobb behelligt, einem wirklichen Stinktier und Ungut – damit ich mir so etwas anhöre, muß jemand schon sehr gut Baseball spielen oder andere bemerkenswerte Fähigkeiten besitzen, und man muß sie mir zeigen. Oder würden Sie sich ein Biopic über Beckenbauer ansehen, in dem er nicht Fußball spielt, sondern sich über seine Beziehung zur CSU, den Sozis, Gott und das Finanzamt ausläßt?

„Ed Wood“ ist wahrscheinlich ein guter Film, Tim Burton ein begabter Regisseur, Johnny Depp nicht nur eine Beauty und hübsch anzusehen, sondern auch die Titelrolle spielt er in schöner Naivität und Flachheit. Die Geschichte ist anrührend – und doch, und doch... Burton macht nicht den Fehler von Rudolph und Shelton, das Werk seines Helden einfach zu übergehen. Sein Problem ist größer: Es gibt gar kein Werk. Ed Wood ist, gewissermaßen, eine Medienerfindung: 1980 veröffentlichten Harry und Michael Medved das Buch „The Golden Turkey Awards“, in dem nicht die Höhepunkte, sondern die Tiefpunkte der Filmgeschichte aufgelistet sind. Und Ed Wood wurde darin zum „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“ erkoren. Eine Camp-Idee, bei der einem etwas mulmig werden kann, wenn man bedenkt, daß Wood regelrecht in der Gosse krepiert ist (Burtons Film hört klugerweise viel früher auf).

Ed Wood war nie verkannt, er war einfach ein schlechter Regisseur. Er liebte das Kino, wollte Filme machen und hat sie ja auch gemacht, aber niemand wollte sie sehen.

Das einzige, was von Ed Wood bleiben wird, ist der zweifelhafte Ruhm des Nichtskönners, und eben „Ed Wood“. Ich fühlte mich unbehaglich, wie bei einer Monstrositätenschau.

Auch dieser Film kreist hat ein leeres Zentrum. Das ist hier ein objektives Problem, und Burton zieht sich achtbar aus der Affäre. Aber es bleibt dabei: Ein Biopic, eigentlich jeder Film, der die Größe seiner Helden nur behauptet, sie aber nicht zeigt, ist unbefriedigend; wir Ungläubigen gehen ja ins Kino, weil man dort, anders als in der Kirche, das Wunder sehen kann. Kurt Scheel