Leihverkehr durch Frl. Brandt

■ Die Berliner Buchhandlung Amelang vor, während und nach der Nazizeit — eine Biographie von Hans Benecke

Die Berliner kauften und kauften: Bücher. Im Zweiten Weltkrieg stieg der Buchumsatz rapide, nach den ruinösen 30er Jahren für den Buchhandel ein Aufatmen. Aber nicht der Goethe für den Tornister war's, der wurde als Feldpostausgabe gedruckt, sondern gediegene Belletristik. Der Buchhändler Hans Benecke hatte richtig getippt und en gros vorab geordert. Und die Rechnung ging auf. Bis Mitte April 1945 ging der Verkauf in der angesehenen Buchhandlung Amelang, ehemals Kantstraße, weiter. 1943 waren sie im Stammhaus ausgebombt worden und dann am Ku'damm untergekommen.

Hans Benecke hat die Biographie seiner Buchhandlung geschrieben – und damit natürlich auch seine Autobiographie. Er galt als „Vierteljude“ und konnte nur mit einer vorläufigen Genehmigung arbeiten. Sehr interessant sind seine Beschreibungen des Arbeitsalltags im Faschismus. Vertrieben werden konnten natürlich ohnehin nicht nur „Mein Kampf“ oder Landserliteratur, aber auch von etlichen verbotenen Autoren standen oft nicht alle Titel auf dem Index. Und unter dem Ladentisch wurden an ausgewählte Kunden dann die Restbestände abgegeben.

In einem Anhang nennt Benecke neben den verbotenen auch die vielgelesenen Autoren dieser Zeit sowie die „hundert ersten Bücher für nationalsozialistische Büchereien“. Man erfährt auch etwas über die verschiedenen Kundentypen, über Gutsbesitzer aus dem Osten, die für Kind und Kegel kistenweise Großeinkäufe zu Weihnachten orderten, oder über Raffkes, die fünf Meter Lederausgaben plus 20 Bände Erotika bestellten.

Und welch schöner Luxus, als die Bücher noch mit dem Botenjungen kostenlos nach Hause gebracht wurden. Als Juden in der Nazizeit das Betreten des Ladens (auch bei Amelang!) verboten war, ergab sich daraus eine Möglichkeit: telefonische Bestellung und Lieferung ins Haus. Doch die wenigsten Buchhändler ließen sich darauf ein.

Leider packt Benecke anfangs zuviel eigene, romantisch geratene Jugenderinnerung in das Buch. Wenn er sich als jung-idealistischen Strasser-Anhänger beschreibt, befällt einen das kalte Grausen. Doch zurück zum Buchbetrieb. Vom Gauobmann des Berliner Buchhandels, Gustav Langenscheidt, ist ebenso die Rede wie von anderen Buchhandlungen, die sich der Nazipolitik widersetzten, etwa die von Marga Schoeller oder Andreas Wolff.

Wie Amelang hatte auch Wolff eine Leihbücherei angeschlossen. Titel wie Klaus Manns „Mephisto“ oder Thomas Manns „Lotte in Weimar“ durften hier einen Tag lang ausgeliehen werden. In seiner regulären Leihbücherei führte Amelang vor dem Krieg 60.000 Bücher. Fünf Damen, wie der Autor (Jahrgang 1910) beteuert, betreuten sie aufs vorzüglichste. 1940 lagerte er wertvolle Bestände nach Hildburghausen in Thüringen aus.

Eine dieser ehemaligen Mitarbeiterinnen-Damen, Fräulein Brandt, betrieb in einem leerstehenden Kaufhaus dort „regelrechten Leihverkehr“. Diese Bände wurden nach 1945 zu wichtigem Startkapital und kehrten mit Fräulein Brandt zurück nach Berlin.

Doch Streitigkeiten mit den Rechtsnachfolgern des ehemaligen Kompagnons des Vaters führten dazu, daß Benecke nach Frankfurt/Main ziehen mußte, um außer Konkurrenz neu starten zu können. Die besagten Bücher mußten unter großen Schwierigkeiten und mit hohen Kosten über die Luftbrücke transferiert werden. Fräulein Brandt war schon vor Ort.

Und Amelang machte weiter. Sein Sortiment, die Ausstellungsräume und die Leihbücherei mußte Benecke in den 50er Jahren aufgeben. Für sein Antiquariat wählte er sich den Schwerpunkt Exil-Literatur, ein Thema, dem damals nur wenig Interesse entgegengebracht wurde. In vielen Anekdoten beschreibt er das prosperierende Nachkriegswestdeutschland. Seine Regale füllten sich wieder. Doch Benecke wartet all die Jahre hindurch auf eine Geschichte des Buchhandels im Faschismus. Einen kleinen, wichtigen Teil davon hat er nun selbst erzählt. Caroline Roeder

Hans Benecke: „Eine Buchhandlung in Berlin“, Fischer TB, 288 Seiten, 16,90 DM