Kubas letzter Verschwörer

Miamis Anti-Castro-Hardliner verlieren an Einfluß. Moderate Dissidenten wie Eloy Gutiérrez Menoyo lösen sie allmählich ab  ■ Aus Miami Bert Hoffmann

Die Meinungsfreiheit kommt voran in Miami. Langsam. Aber immerhin, das letzte Attentat ist schon ein paar Jahre her. Alfredo Durán ist optimistisch: „Die Zeit der Bomben ist vorbei. Daß jemand wie ich in Ruhe durch die Straßen von Little Habana gehen kann, das hätte es vor fünf Jahren noch nicht gegeben.“

Jemand wie ich, das heißt in diesem Fall: ein hochkarätiger Politiker der kubanischen Exilgemeinde, der für einen Dialog mit Fidel Castro eintritt. Für Verhandlungen mit der Regierung in Havanna. Für eine Lockerung des US-Embargos gegen Kuba. Positionen, die die alteingesessene Mehrheit des Exils in Miami ungefähr für so vertretbar hält wie die CSU-Ortsgruppe Passau islamischen Religionsunterricht an Bayerns Schulen.

In der Vergangenheit wurden derartige Abweichungen immer wieder mit offenen Gewaltakten bestraft. Das örtliche „Museum der Kubanischen Kunst“ etwa wurde wiederholt Opfer von Bombenattentaten, weil es wagte, auch Künstler auszustellen, die noch auf der Insel leben. Aber die Anschläge richteten sich auch immer wieder gezielt gegen Personen. Die Universitätsprofessorin Maria Cristina Herrera entging 1988 nur knapp einer Bombe, die Terrorgruppen in ihrem Haus zündeten. Sie, die seit Jahren ihr Leben im Rollstuhl meistert, ließ sich auch durch die Bomben der Rechten nicht einschüchtern. Zusammen mit Alfredo Durán hat María Cristina Herrera vor zwei Jahren das „Cuban Committee for Democracy“ (CCD) gegründet, das den moderaten Kräften endlich eine politisch wirkungsvolle Struktur geben will. Leitsatz des Komitees: „Für einen friedlichen Übergang zur Demokratie in Kuba.“ Betonung auf friedlich. In Miami ist das eine Provokation. Doch auch die heutigen Wortführer der Moderaten waren keineswegs immer so versöhnlich.

Ganz im Gegenteil. Der Rechtsanwalt Alfredo Durán etwa war 1961 bei der gescheiterten Invasion von CIA und Exilkubanern in der Schweinebucht dabei. „18 Monate lang saß ich in Castros Gefängnissen, bevor uns Kennedy da rausverhandelt hat“, erzählt er zurückgelehnt in seinen Bürostuhl. An der „8. Straße“, der Lebensader von Little Habana, brennt die ewige Flamme für Duráns einstige Waffenbrüder, die bei der Invasion ums Leben kamen.

Er hat mehr Glück gehabt. Statt fürs Vaterland zu sterben, hat Alfredo Durán in den USA Karriere gemacht. Wie so viele. Das Sterben wurde für die Sonntagsreden reserviert. Im wirklichen Leben ging's um den sozialen Aufstieg. Der Cuban-American Dream wurde zur Erfolgsstory. Die Exilkubaner waren es, die aus dem verschlafenen Provinznest Miami eine internationalen Metropole gemacht haben.

Bei alledem ist Durán seinem Befreier Kennedy dankbar geblieben. Er wurde zu einem der führenden Politiker der Demokratischen Partei in Florida, über viele Jahre war er sogar ihr Vorsitzender. Durán strahlt Seriosität aus, nicht politische Leidenschaft. Aber wenn er heute von der Schweinebucht-Invasion spricht, dann ist das keine Anekdote, sondern ein unschlagbarer Beweis solider antikommunistischer Gesinnung. Das ist in Miami unverzichtbar – erst recht für jemanden wie Alfredo Durán, der die Front der unversöhnlichen Hardliner aufbrechen will, die seit 36 Jahren die Politik des kubanischen Exils bestimmen.

In der Tat ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen. Der Triumphalismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat längst einer Katerstimmung Platz gemacht. Jorge Mas Canosa sieht man das auch an. Seit er 1980 auf Initiative Ronald Reagans die „Kubanisch-Amerikanische Nationalstiftung“ (CANF) aus dem Boden stampfte, war der millionenschwere Unternehmer die unbestrittene Führungsfigur des Exils. Und er war der sicherste Kandidat auf die Nachfolge Fidel Castros. Im Februar 1990 organisierte Mas Canosa mit dem damaligen Gouverneur von Florida bereits eine Kommission, die die Sicherheitsaspekte bei den anstehenden Jubelfeiern zum Sturz Castros diskutierte. Doch der Tag X läßt weiter auf sich warten. Und das ist nicht das einzige Problem Mas Canosas.

Mißmutig schaut er auf die Kundgebung vor dem 5-Sterne- Hotel. Sein schwarzer Anzug ist längst vom Regen durchnäßt. 300, vielleicht 400 Leute sind gekommen. In Miami, wo mehr Kubaner leben als „Anglos“, ist das definitiv ein Flop, selbst wenn man das schlechte Wetter in Rechnung stellt. Mas Canosa wahrt Haltung. Er hält Ausschau nach dem besten Winkel für die Fernsehkameras. Im Hintergrund die Demonstranten so, daß sie nach Masse aussehen. In der ersten Reihe fünf Frauen, die klagend ihr „Freiheit, Freiheit, für mein Kuba endlich Freiheit“ singen. In den Abendnachrichten wird man sie in Großaufnahme sehen. Mas Canosa ist Profi.

Um das eigentliche Problem kommt er dennoch nicht herum. Das nämlich ist nicht die geringe Teilnehmerzahl, sondern der Anlaß des Protests: Er richtet sich gegen Castro, natürlich, vor allem aber gegen US-Präsident Bill Clinton, der zu einem Privatbesuch in die Stadt gekommen ist. Noch im Wahlkampf hatte Mas Canosas „Nationalstiftung“ Clinton großzügig mit Spenden bedacht. Schließlich ist das über all die Jahre Mas Canosas entscheidende Machtbasis gewesen: daß er – und nur er – Washingtons Mann in Sachen Kuba war. Vor ein paar Monaten jedoch hat Clinton diese politische Allianz offen gekündigt. Der junge Reporter des lokalen spanischsprachigen Fernsehens kann seine Schadenfreude nicht verbergen: „Señor Mas Canosa, wie fühlen Sie sich denn so, nicht drinnen im Hotel vom Präsidenten empfangen zu werden, sondern draußen im Regen gegen ihn zu protestieren?“ Treffer versenkt. Mas Canosa antwortet irgend etwas von Prinzipientreue. Seine starke Seite ist das nicht. Macht und Erfolg verkörpert er erheblich glaubwürdiger.

Die Krise der Hardliner in Miami ist schleichend. Die rechte Lufthoheit über den Domino-Tischen ist nach wie vor unangefochten. Markige Sprüche gegen den Tyrannen auf der Insel finden noch immer eine satte Mehrheit. „No Castro – No Problem!“-Aufkleber zieren allerorten Stoßstangen und Ladentüren. „Gerne wird im Ausland über eine ,Perestroika in Miami‘ geschrieben“, sagt Pablo Alfonso, einer der führenden Cuba-watchers des Miami Herald. „In der Tat gibt es Veränderungen. Aber das ist kein plötzlicher Umbruch, sondern ein allmählicher Erosionsprozeß – ganz ähnlich wie in Kuba.“

Der Herald selbst erlebt diese Konflikte live. Er erscheint zweisprachig in englisch und spanisch, und er hat quasi das Zeitungsmonopol in der Stadt. Für hiesige Verhältnisse ist er ausgesprochen pluralistisch. Mas Canosa hatte vor ein paar Jahren deswegen eine Boykottkampagne gegen den Herald gestartet – ohne Erfolg. Und erst kürzlich hat Alvaro Vargas Llosa, der Sohn des rechtsgewendeten peruanischen Schriftstellers, seinen Job als Redakteur der Kommentarseite geschmissen, weil die Zeitung zu linkslastig und Castro-freundlich sei ...

Pablo Alfonso kommt auf die Politik außerhalb der Redaktionsräume zurück. „Eine dialogbereite Minderheit gab es schon immer“, sagt er. „In den letzten Jahren ist sie langsam gewachsen. Wirklich neu aber ist, daß die moderaten Kräfte sich effektive politische Organisationen geschaffen haben. Und neu ist vor allem das Selbstbewußtsein, mit dem sie auftreten.“

Dieses neue Selbstbewußtsein der „Dissidenten Miamis“ verkörpert niemand besser als Eloy Gutiérrez Menoyo. Zweifelsohne ist er die charismatischste Gestalt des moderaten Exils. Während Alfredo Durán ein nüchterner Parteipolitiker des kubano-amerikanischen Establishments ist, ist Menoyo eine Heroengestalt, die revolutionäres Pathos und Macho- Männlichkeit, Geschichte und Größe ausstrahlt. Das ist in Miami – genau wie in Kuba – ein entscheidendes politisches Kapital. Kein Artikel und kein Fernsehauftritt Menoyos, der nicht mit seiner Biographie beginnt.

Denn Menoyo war einst ein enger Weggefährte Fidel Castros. Er war Comandante der zweiten Front der Revolutionsarmee, damals, als sie gemeinsam gegen die Batista-Diktatur kämpften. Fünf Jahre später kämpfte Menoyo bereits gegen Fidel – und wiederum, wie er es gelernt hatte, als Kopf einer bewaffneten Guerilla. Zu 55 Jahren Haft wurde er dafür von der revolutionären Justiz verurteilt. 22 Jahre verbrachte Menoyo in der Folge in kubanischen Knästen, bevor er 1987 auf Intervention des spanischen Ministerpräsidenten Felipe González ins Exil entlassen wurde. Als Folge von Schlägen im Gefängnis ist er fast taub und auf einem Auge blind. „Ich habe mehr Grund zu hassen als die meisten“, sagt Menoyo. Um so eindringlicher kann gerade er nun für Versöhnung plädieren.

Vor drei Jahren hat Menoyo seine eigene politische Organisation gegründet, „Cambio Cubano“, kubanischer Wandel. Und die soll keine Exilorganisation bleiben. Menoyo plädiert für einen Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft westlicher Prägung, ohne Frage. Aber er will ihn von innen. Wenn es nach ihm geht, sagt Menoyo, würde Cambio Cubano morgen ein Büro in Kuba eröffnen – auch unter der jetzigen Regierung, wenn diese ihn läßt.

Soweit ist es noch nicht, aber dennoch hat Menoyo in diesem Sommer die Koordinaten der kubanischen Politik ein gutes Stück verschoben. Er ist nach Havanna gereist, und er wurde von Fidel Castro persönlich zu einem Dreistundengespräch empfangen. Zum ersten Mal akzeptierte Fidel Castro einen erklärten kubanischen Oppositionellen als Gesprächspartner. Noch keinem der Dissidenten auf der Insel selbst wurde dies zugestanden.

Was Fidel und Menoyo in diesen drei Stunden besprochen haben? Auch Monate nach dem Treffen weiß man darüber wenig. Transparenz ist Menoyos Sache nicht. Mehr als ein dürres „Ich habe mit Castro über alles gesprochen“ war aus ihm nicht herauszuholen. Journalisten gelten ihm grundsätzlich als suspekte Spezies.

Der Herald-Redakteur Pablo Alfonso wundert sich darüber nicht. Er kennt Menoyo noch aus Kuba. Sie saßen zusammen eine Weile in Villa Marista ein, dem Gefängnis der Staatssicherheit in Havanna – Menoyo als Kapitalverbrecher, Alfonso als junger Mann, den die Katholische Jugendbewegung auf unsozialistische Abwege geführt hatte. „Menoyo“, sagt er, „ist kein Politiker, sondern ein Verschwörer. Das ist es, was er sein Leben lang gelernt hat, in der Guerilla, in der Konterrevolution, im Gefängnis. Und genau so macht er jetzt Politik.“

Pablo Alfonso seufzt. Ein Politiker wie Durán, weniger spektakulär, aber leichter zu berechnen, läge ihm offensichtlich näher. „Aber vielleicht“, sagt er, „kann auch nur jemand wie Menoyo für Kuba die Person des Übergangs sein. Vor einem, der sich durch 22 Jahre Haft nicht hat brechen lassen, hat sogar Castro Respekt.“

Bislang ist Menoyos Initiative äußerst erfolgreich. Seit seinem Auftritt in Havanna bereist der alte Guerillero mit missionarischem Eifer die Hauptstädte der Welt, um von Mexiko bis Madrid die Regierungen für seinen dritten Weg zu gewinnen. Es ist auch ein offenes Geheimnis, daß die Clinton-Administration Menoyos Ambitionen mit einiger Sympathie verfolgt – um so mehr, seit ihr der Bruch mit Miamis Hardlinern neue Spielräume gibt.

Doch seit Mas Canosas Platz in Washington nicht mehr im Weißen Haus ist, setzt er um so mehr auf den Kongreß. Dort wird gerade eine neue Gesetzesvorlage verhandelt, die das US-amerikanische Wirtschaftsembargo gegen Kuba weiter verschärfen soll. Mas Canosas „Nationalstiftung“ bearbeitet die Abgeordneten mit all ihrer verbliebenen Macht. Den Auswärtigen Ausschuß des Repräsentantenhauses hat die Gesetzesvorlage bereits passiert, mit 28 zu 9 Stimmen. Noch immer findet Miamis Kuba-Politik am Ende in Washington statt.