"Kanther hätte den Spieß umgedreht"

■ Der grüne Bundestagsabgeordnete Rezzo Schlauch über die Gründe der Fraktion, die Aktuelle Stunde zur Sudanesen-Abschiebung abzusagen: Der Stoff war "nicht ausreichend, um einen Frontalangriff zu führen"

taz: Billigen die Bündisgrünen seit gestern die schnelle Abschiebung der Sudanesen?

Rezzo Schlauch: Nein natürlich nicht. Es wäre mir auch nichts lieber gewesen, als den Innenminister Kanther in dieser von uns beantragten Aktuellen Stunde frontal anzugreifen.

Wieso haben die Bündnisgrünen dann die Aktuelle Stunde abgesetzt?

Das, was im Innenausschuß zur Sprache kam, war für meine Begriffe nicht ausreichend, um diesen Frontalangriff zu führen. Es bestand vielmehr die Gefahr, daß der Innenminister den Spieß umgedreht und seine These verkündet hätte, die Geschichte mit den Sudanesen sei eine von interessierten Kreisen inszenierte Kampagne. Ich wollte Herrn Kanther nicht die Gelegenheit geben, diese These unterfüttert mit den ihm zur Verfügung stehenden Quellen weise auszunutzen, um im Asylbereich engagierte Menschen zu diskreditieren. Außerdem hätte er versucht, die Reihen um den Asylkompromiß zusammenzuschweißen.

War denn die große moralische Mobilisierung, die die Grünen für die Sudanesen mitbetrieben haben, inhaltlich so schlecht abgesichert?

Ich sehe keine große moralische Mobilisierung. Die Leute, die damit befaßt waren, haben deutlich gemacht, wie menschenunwürdig und wie für meine Begriffe rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwiderlaufend dieses Flughafenverfahren als Teil des Asylkompromisses ist. Da haben sie zu Recht Alarm geschlagen.

War es denn dann der falsche Fall?

Jedenfalls ist nach meiner derzeitigen Informationslage Kanther formalrechtlich nichts nachzuweisen.

Was konnte Kanther Ihnen im Innenausschuß erzählen, was Sie nicht wußten?

Kanther konnte uns konkret darlegen, daß es zu keinem Zeitpunkt eine gesicherte Zusage gegeben hat, daß die Flüchtlinge nach Eritrea ausreisen konnten.

Wie hat er das belegt?

Mit Schreiben vom evangelischen Regionalverband Frankfurt/ Main und der Internatiolen Organisation für Migration, die mir inzwischen auch zugänglich sind und aus denen er zitiert hat. Nach diesen zwei Schreiben hat es eine Zusage für eine Ausreise nach Eritrea in einer abgesicherten Form nicht gegeben.

Aber das sind doch die Papiere, die schon am vergangenen Freitag öffentlich waren.

Eine weitere Zusage gibt es nach unseren Informationen schriftlich und nachprüfbar nicht. Hinzu kommt, daß eine grüne Abgeordnete mit sehr guten Kontakten zur eritreischen Stellen selbst recherchiert hat und auch die Auskunft hatte, daß es eine Zusage von Seiten Eritreas nicht gab.

Mit welchen Informationen und Quellen sind Sie in den Ausschuß gegangen?

Ich bin mit dem Wissen in den Ausschuß gegangen, daß trotz einer gesicherten Zusage eines Drittlandes Herr Kanther abgeschoben hat. Das habe ich aus den gesamten Publikationen, besonders aus dem Spiegel vom Montag entnommen.

Gab es denn keine direkten Kontakte zwischen den Bündnisgrünen und den Gruppen, die sich um die Sudanesen gekümmert haben?

Das mag es von jemand anderem gegeben haben, von mir jedenfalls nicht.

Damit ist doch allen künftigen Fällen ein Bärendienst erwiesen worden.

Das würde ich nicht sagen. Eine breite Öffentlichkeit hat davon Kenntnis genommen, in welch menschenunwürdigen Bedingungen das Flughafenverfahren durchgeführt wird. Das kann auch zu der Erkenntnis führen, daß das Flughafenverfahren — unabhängig von dem Fall der Sudanesen — so nicht aufrecht erhalten werden kann.

Wieso haben Sie das nicht in der geplanten Aktuellen Stunde thematisiert?

Wir waren der Meinung, daß es bessere Gelegenheiten gibt, für eine Reform des Verfahrens und des Asylkompromisses zu kämpfen. Wir lassen schon in einem Antrag und in einer Anfrage das Flughafenverfahren überprüfen. Und wir wollen mit mehreren parlamentarischen Initiativen die Situation der Flüchtlinge verbessern. Ich hoffe auch auf ein in unserem Sinne positives Urteil des Bundesverfassungsgerichts sowohl bei der Flughafenregelung als auch bei der Frage der sogenannten sicheren Drittstaaten.

Werden die Bündnisgrünen als Konsequenz aus dem Fall der sieben Sudanesen künftig intensiver mit Betreuungsgruppen von Flüchtlingen zusammenarbeiten?

Wenn wir mit einer solchen Geschichte nochmal zu tun haben, müssen wir das Netz dichter knüpfen.

Interview: Volker Weidermann und Karin Nink