Feldzug gegen die Öko-Moral

■ Der „Spiegel“ hat eine neue Volkskrankheit entdeckt: Eine Psychose, ausgelöst durch den „bazillus ökologicus“

Berlin (taz) – Spiegel-sei-Dank, jetzt ist es raus. Es gibt gar kein Umweltproblem. Es gibt nur eine gesamtdeutsche Psychose. Eine, die ihre Wurzeln mindestens im Zweiten Weltkrieg, recht eigentlich aber schon im Dreißigjährigen Krieg hat. Seitdem nämlich steckt dem Deutschen als solchem so ein Hang zu Naturverklärung und Kulturpessimismus im Blute. Nicht Elektrosmog („Hirngespinst“) und Amalgam („Ängste geschürt“), sondern reiner Pessimismus treibt uns die Pickel ins Gesicht und den Krebs in die Lunge.

Apropos Blut. Das klebt halt immerzu an der Gemütslage der Nation. „Fragen über Fragen“, lieber Henryk Broder, verzeih, Henryk M. Broder, stellst du uns da. Fragen über unsere unbearbeitete Schuld, die wir jetzt an der unschuldigen Ökologie austoben, Fragen über unseren „moralischen Größenwahn“, über die dräuende „Ökodiktatur“ gar. Und wer, außer dir, könnte uns die bohrenden Fragen beantworten? Ausgerechnet auf die „deutschen Tugendwächter“ Jens Reich, Dagmar Berghoff und Annemarie Schimmel hoffen wir Verblendeten. Hab Mitleid, lieber Henryk M., es ist so schwer, es dir recht zu machen. Eben noch ewige Antisemiten, treiben wir es jetzt im Gegenzug mit dem Schuldbewußtsein zu weit. „Das zentrale deutsche Problem ist weder das Waldsterben im Allgäu noch das Ozonloch über der Antarktis“, schreiben wir uns hinter die Ohren. „Es ist die nicht erfüllte Bestrafungserwartung nach dem kollektiven Ausrasten von 1933 bis 1945.“

Daher all die Lichterketten, Mahnwachen und Unterschriftenaktionen – reine Übersprungshandlungen sind das. Wenn wir die „Gutmenschen“ wären, die wir zu sein vorgeben, wüßten wir, was wir zu tun hätten: in Bosnien einmarschieren, statt (billig, billig) gegen Atomtests zu protestieren.

„Neurosen, psychosomatische Störungen oder Depressionen“ konstatiert ein Spiegelsches Autorenkollektiv bei den Sensibelchen zwecks Erhärtung des Broderschen Theorems. Unerhört: die Ökos schwächen sich nicht nur selbst kraft ihrer eigenen Einbildung, sie stecken auch noch ihre Kinder an. Wie kann denn sonst der elfjährige Clemens aus der Luft greifen, daß es, wenn er groß ist, „kein einziges grünes Fleckchen mehr gibt, nur noch Straßen“? Nicht garstige Welt. Garstige Eltern! Zwecks Heilung bekommen wir unsere „selbstquälerische Beschäftigung mit der Apokalypse“ seitenweise um die Ohren gehauen. Folgsam lernen wir: Nicht die Umwelt ist vergiftet. Lediglich „die Kranken bestehen darauf, vergiftet zu sein“.

Danke, Spiegel! Endlich wieder tief durchatmen. Weg mit der „Umwelt-Besessenheit“. Wir lassen das alberne Mülltrennen sein, wir geloben, nie mehr gegen Ölkonzerne zu demonstrieren, und wir wollen endlich den Wohlstand, den wir schließlich selber produzieren, ohne Reue genießen. Begießen wir die Befreiung vom „Öko-Wahn“ mit französischem Champagner, erfreuen wir uns des automobilen Lebens, hauen wir die Ökobewegung mit ihrem „kleinbürgerlichen Weltbild“ in die Pfanne. Gell, das war es, was euch dort in Hamburg getrieben hat. Nicola Liebert