Zwangsröntgen konkret: „Wenn der 15 ist, bin ich 10“
■ Kurze „Welle“ jugendlicher Asylbewerber aus Westafrika
Am 8. September klingelt es in der Asylbewerberunterkunft für Jugendliche in der Peenemünder Straße morgens um sieben. Zwei Kripo-Beamte stehen vor der Tür, sie wollen den Asylbewerber Abou Camara zum Röntgen abholen – angeordnet vom Amtsgericht. „00.00.1980“ steht in dem Ausweis des ca. 1,60 Meter großen Mannes aus Sierra Leone. „Wenn der 15 ist, dann bin ich 10“, sagt einer der Kripo-Beamten. „Mittelbare Falschbeurkundung“, so steht es in den Akten, lautet der strafrechtliche Vorwurf. Zwei Stunden später kommt Camara aus dem Krankenhaus St.-Jürgen Straße raus, er wird am Bahnhof abgesetzt, Diagnose des Arztes: Der „Junge“ ist ausgewachsen, „mindestens 18“ sei sein Alter.
Mehrfach, so weiß die Ausländerbehörde, wurde Camara mit geringen Mengen Kokain in Bremen an einschlägigen Plätzen aufgegriffen, einmal auch in Hamburg an einem für den Drogenhandel bekannten Platz personenüberprüft – allerdings wurde damals nichts bei ihm gefunden. Solange das Asylverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, haben Kokainfunde für Camara keine Konsequenzen. Camara, der weder lesen noch schreiben kann, bestreitet, daß er mit Drogen erwischt worden sei. Am Bahnhof halte er sich ab und an auf, um Freunde zu treffen.
Der Verdacht, daß Camara ein kleiner „Drogenkurier“ sein könnte, hat allerdings nicht unmittelbar zu der Überprüfung der Altersangaben geführt. Am 23.1.1995 hatte Camara sich als Asylbewerber bei der Zast gemeldet, drei Wochen später hatte das Ausländeramt den Fall der Kripo gemeldet – zunächst auch unter dem Verdacht der „Mehrfachidentität“. Eine Routine-Kontrolle also, aber aufgrund von routiniertem Mißtrauen. Seit September 1994 kam eine Welle von Asylbewerbern mit falschen Altersangaben nach Bremen, alles alleinstehende schwarze Männer aus Westafrika. Die Behöden waren bald sensibilisiert.
Im Februar gab es eine Besprechung zu dem Fall, an der neben Kripo, Staatsanwaltschft und Ausländeramt auch die Sozialbehörde teilnahm. Seitdem die Zast bei zweifelhaften Altersangaben einfach ein Schätz-Alter einsetzt und die Kripo zweifelhafte Fälle der Staatsanwaltschaft meldet, flaute die „Welle“ aber ab. Die Theorie der Behörden: Offenbar hatten Schlepper den Schwarzen die Masche mit den jugendlichen Altersangaben erzählt. K.W.
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