: Röntgen-Streit in der Klinik
■ Ärztlicher Direktor Gunschera lehnt „Zwangsröntgen“ aus ethischen Gründen strikt ab / Hat Röntgen-Arzt Freyschmidt den St.-Jürgen-Klinik-Chef falsch informiert?
„Seit dem Oktober 1993 bin ich hier Ärztlicher Direktor, da ist nie jemand hier gegen seinen Willen geröntgt worden“, erklärte der Ärztliche Direktor der St.-Jürgen-Klinik, Prof. Hanns Gunschera gestern.. Ca. 30 DemonstrantInnen, die einem Aufruf des Antirassismus-Büros zum Protest gegen das Zangsröntgen gefolgt waren, staunten nicht schlecht. „Zwangsröntgen ist Körperverletzung“ stand auf ihrem Transparent und „Stoppt den Medizinverbrecher Freyschmidt“. Den Chef der Röntgendiagnostik, Prof. Freyschmidt, habe er morgens noch angerufen und nach dem „Zwangsröntgen“ befragt, erklärte Gunschera. „Dieses findet nicht statt“, habe Gunschera zur Antwort erhalten.
Von den Zeitungsberichten, die seit Wochen Bremen auch überregional in die Schlagzeilen gebracht hatten, scheint der Klinik-Chef nichts mitbekommen zu haben. In seiner persönlichen Meinung ist er derweil eindeutig: „Ein Röntgen gegen den Willen würde ich persönlich ärztlich nicht durchführen“, auch aus ethischen Gründen, so Gunschera, „würde ich mich dafür nicht verwenden“. Dem Votum des Ärztetages schließt sich der Klinik-Chef an: „Das kann ich uneingeschränkt bejahen.“ Eine Klarstellung der Gesundheitsbehörde gebe es allerdings nicht.
Als es dem Klinik-Chef im Gespräch mit den AktivistInnen vom Anti-Rassismus-Büro dämmerte, daß er von seinem eigenen Röntgenarzt-Kollegen falsch informiert worden sein könnte, meinte er nur zu den Demonstranten: „Ich finde es bemerkenswert, daß Sie hier der Postbote sind.“ Er wolle zunächst das Gespräch mit Freyschmidt suchen.
Bis zum späten Nachmittag hat gestern der Röntgenarzt, dem die Kripo auch in den letzten Wochen wieder mehrere „Fälle“ zum Zwangsröntgen vorgeführt hat, dem Klinik-Chef nicht geantwortet auf die Frage, was denn an den Vorwürfen des Anti-Rassismus-Büros dran sei.. Freyschmidt war auch für die taz nicht zu erreichen, gegenüber dem ZDF-Magazin „Mona Lisa“, das am Sonntag das Bremer Zwangsröntgen von Asylbewerbern zum bundesweiten Thema machen will, lehnte Freyschmidt eine Stellungnahme ausdrücklich ab.
In den letzten Wochen haben zwei Asylbewerber wegen falscher Altersangabe („mittelbare Falschbeurkundung“) vor Gericht gestanden – beide wurden, so berichtete die Initiative, freigesprochen, weil den Richtern die medizinische Diagnostik zweifelhaft war und weil ein „Vorsatz“ nicht nachweisbar gewesen sei: Beide hatten vor Gericht erklärt, ihnen sei von den Eltern das angegebene Alter gesagt worden.
Offenbar hat man auch mehrere Wochen nach dem „Zwangsröntgen“ keine Konsequenzen aus dem ärztlichen Befund gezogen und Betroffene auf das Asylschiff verlegt. Sie haben nach wie vor einen „Amtsvormund“. Gleichwohl die Sozialbehörde das Zwangsröntgen mit veranlaßt hatte, um die hohen Kosten der besonders betreuten Unterkunft für Jugendliche zu sparen und dort Konflikte mit offenkundig „erwachsenen“ Schwarzen zu vermeiden.
Die derselben Senatorin unterstehende Gesundheitsbehörde hat das Röntgen gegen den erklärten Willen des Betroffenen dagegen von Anfang an vehement abgelehnt. Der zuständige Mitarbeiter Gruhl hat in einem bösen Brief an die Ärztekammer am 24.8. die fachlichen und juristischen Bedenken gegen das Zwangsröntgen unterstrichen und erklärt, er wolle „zur Zeit nicht“ eine generelle Weisung an die Ärzte der städtischen Kliniken „in diesem Problemfall“ aussprechen.
Aufgrund des vorletzten Falles von Zwangsröntgen, bei dem am 29.8. sogar einer der Kripo-Beamten mit Bleischürze im Röntgen-Zimmer aufpaßte, während dem jungen Schwarzen Handwurzel und Knie geröntgt wurden, will die bundesweite Vereinigung „pro Asyl“, vertreten durch den Bremer Anwalt Günter Werner, nun Strafanzeige gegen den verant
wortlichen Arzt Freyschmidt stellen.
Auch der Bremer Jugendrichter Schönfeldt versteht nicht, warum die Röntgenaufnahmen sein müssen. „In dem Fall, in dem ich freigesprochen habe, saß ein eindeutig erwachsener Mann vor uns. Das hätte ich als Richter so feststellen können. Darum ging es in dem Verfahren aber nicht. Ich habe freigesprochen, weil nicht nachweisbar war, daß er vorsätzlich ein falsches Alter angegeben hatte.“ K.W.
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