Im Pelzmantel und mit Maske

Befreiung und Repression schwulen Lebens: „Deutsch-Russische Freundschaft“ im Schwulen Museum, eine sozialgeschichtliche Fußnote zur Festwochen-Ausstellung „Moskau–Berlin“  ■ Von Andrea Kern

In seiner Achtzimmerwohnung trifft sich alles, was sich eben in solchen Salons trifft, sogar Sowjetrussen. Agenten des C.I.C., der Chef der amerikanischen Militärpolizei, hohe französische, englische, amerikanische Besatzungsoffiziere, Schleichhändler, Adlige, Modeschöpfer, Diebe, Strichjungen, Mörder, Künstler und vor allem die arrivierten Homos von Berlin“, notiert Klaus Kinski in seinen Memoiren mit nostalgischem Blick auf eine Zeit, die alles andere als rosig war: der Krieg ist soeben beendet, Deutschland endlich besiegt und Berlin weitgehend zerstört.

Im Salon „Sascha“ am Ku'damm aber amüsiert sich besagte Gesellschaft bei Champagner und Kaviar bis in die frühen Morgenstunden. Gastgeber dieser feudalen Parties, auf denen die neuen Machthaber Berlins mit der halbseidenen Unterwelt regelmäßig verkehrten und Geschäfte machten, war der russische Fürst Alexander Kropotkin, der unmittelbar nach der Russischen Revolution mit seiner Mutter nach Berlin emigriert war.

Anhand der Gästeliste des Fürsten könnte man ein gutes Stück deutscher Kulturgeschichte rekonstruieren. Aus und ein geht bei ihm nicht nur Klaus Kinski, der 1948 seinen ersten Skandalerfolg in Berlin landet, als er bei der Mitternachtspremiere des Einpersonenstücks „La voix humaine“ von Jean Cocteau die Frauenrolle spielt.

Auch Jan Hendriks, der Star am Schiller Theater in den Fünfzigern, ist ein enger Freund des Fürsten, ebenso Friedrich Joloff, Sohn russischer Emigranten, der, nachdem er 1933 von den Nazis Berufsverbot bekam, mit dem ersten Schwulenfilm der BRD: „Anders als du und ich“ von Veit Harlan (1957), seine zweite Karriere macht. Stammgast ist auch der Modefotograf Helmut von Gaza.

Von denselben Gästen ausgehend, könnte man aber auch ein Stück Sozialgeschichte des Lebens der Homosexuellen in der BRD erzählen, die sich dann freilich etwas anders anhört: Denn die sexuelle Befreiung, die die Schwulen nach der Kapitulation Deutschlands erlebten, fand ab Mitte der Fünfziger in der an ihrem Wirtschaftswunder arbeitenden Republik ihr jähes Ende: Hendriks wird mit einem jungen Mann im Auto erwischt, die Presse hetzt gegen ihn, und bald wird auch er, wie schon sein Freund Gaza, nach Paragraph 175 verurteilt. Statt Entschädigung erleben die Schwulen eine groteske Wiederholung: sie hocken zum Teil in denselben Gefängnissen, in die sie schon die Nazis gesteckt hatten.

Die wichtigsten Stationen dieser und auch der russischen Geschichte homosexuellen Alltags im 20. Jahrhundert hat das Schwule Museum unter dem Titel „Deutsch-Russische Freundschaft“ zusammengestellt. Die Ausstellung ist eine Art sozialgeschichtliche Fußnote zur parallel laufenden Festwochen-Leistungsschau deutsch-russischer Kunst im Martin-Gropius-Bau. Briefe, Fotos, Plakate und Interviews mit Zeitzeugen halten ein in Ost und West zuweilen sehr wechselhaft verlaufenes Auf und Ab homosexueller Subkultur in den Zentren Berlin, St. Petersburg und Moskau fest.

Alle Nazis seien schwul, hieß es dann

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, so suggerieren die Ausstellungsmacher Karl-Heinz Steinle und Andreas Sternweiler, leben für einen kurzen, verrückten Augenblick jene weit zurückliegenden Jahre wieder auf, als die deutsch-russische Schwulen-Szene noch ein fester und auffälliger Bestandteil des Berliner (Nacht-)Lebens war: die zwanziger Jahre der Weimarer Republik, als es in der Stadt fast eine halbe Million russischer Emigranten gab, davon mindestens zwölftausend Homosexuelle – öffentlich bekannte Schwule wie der Starpianist Wladimir Horowitz, den man gewöhnlich mit Pelzmantel und Make-up durch die Cafés streifen sah, der Manager des „Balletts Russes“, Sergej Diagilew, oder Tschelistschew, der Bühnenbildner des bekanntesten russischen Kabaretts in Berlin, „Der blaue Vogel“.

Während in Berlin, trotz Paragraph 175, eine schwule Bar nach der anderen aufmacht, wird in der Sowjetunion 1922 der Schwulenparagraph abgeschafft: nirgends war die Rechtsposition der Schwulen so liberal. Doch der rechtliche Schein trügt. Schon bald werden die Homosexuellen in der Sowjetunion unter Stalin zunächst als „bourgeois“, dann als „konterrevolutionär“ diffamiert, bis 1934 der Schwulenparagraph wiedereingeführt wird: wer erwischt wird, wandert für fünf bis zehn Jahre in den Knast.

Die Rechtfertigung der Wiedereinführung des Paragraphen bestand in einer perfiden Gleichsetzung: alle Nazis seien schwul, hieß die „antifaschistische“ Formel. Der Kampf gegen die Schwulen sei in Wahrheit ein Kampf gegen Hitler-Deutschland. Allein aus diesem Topos hat Gustav von Wangenheim seinen Propagandafilm (1936) gestrickt.

Es dauert dann fast ein halbes Jahrhundert, bis 1987 in einer offiziellen Zeitschrift des kommunistischen Jugendverbands ein Artikel erscheinen kann, in dem erstmals die Existenz von Homos in der UdSSR erwähnt wird. Sechs Jahre später erst wird in der Sowjetunion der Paragraph, nun zum zweiten Mal, abgeschafft. Auch in der deutschen Geschichte schwulen Lebens, dokumentiert das vergleichend ausgestellte Material anschaulich, wechseln Phasen der Befreiung und Repression einander mehrfach nachgerade fliegend ab. Letztere waren hier jedoch nicht unerheblich kürzer.

„Deutsch-Russische Freundschaft“, Mi.–So.: 14–18 Uhr, Schwules Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg.