Ein innerer Zwang

■ „Politischer Film ist ein schmutziger Ausdruck“: Regisseur Milcho Manchevski über sein Filmdebüt „Before The Rain“

Ihr Film „Before The Rain“ wurde in diesem Jahr für einen Oscar nominiert, nicht schlecht für das Erstlingswerk eines ehemaligen Videoclip-Filmers. Welche Rede hätten Sie bei einer Auszeichnung vor der geladenen Hollywood-Prominenz gehalten?

Milcho Manchevski: Hab' ich vergessen. Beinahe wäre ich gar nicht zur Oscar-Verleihung erschienen, denn kurz vorher gab es noch einen Riesenkrach um den Film. Die Organisatoren wollten plötzlich den Namen des Landes, unter dem der Film eingereicht wurde, von „Republik Mazedonien“ in „frühere jugoslawische Republik Mazedonien“ ändern. Das Oscar-Kommitee hatte dem Druck der griechischen Lobby in Amerika nachgegeben.

Was haben die Griechen mit der Oscar-Verleihung zu tun?

Es geht um Politik. Griechenland erkennt die Republik Mazedonien nicht an, weil es befürchtet, daß sich dann vielleicht die mazedonische Minderheit im Nordes ihres Landes abspalten könnte. Die Haltung des Oscar-Kommitees war deshalb so beschämend, weil sie immer vorgeben, sich nicht um Politik zu kümmern. Auf den ersten Blick geht es nur um ein paar Wörter. Aber diese Entscheidung hätte sicher Auswirkungen auf die Situation auf dem ganzen Balkan gehabt. Es wäre ein neuer Schritt in des Nichtanerkennens eines unabhängigen Landes gewesen. Glücklicherweise lenkte die Motion Picture Association im letzten Moment ein. Sonst wäre ich nicht zur Preisverleihung gegangen.

Ihr Film spielt in Ex-Jugoslawien. Haben Sie sich für eine Seite entschieden?

In Mazedonien, wo mein Film spielt, herrscht ja offiziell kein Krieg. Aber es gibt große Spannungen zwischen der mazedonischen (griechisch-orthodoxen) Mehrheit und der albanischen (muslimischen) Minderheit. Diese Volksgruppen haben über Jahre friedlich nebeneinander gelebt. Doch durch die Spannungen auf dem Balkan sind die Leute nun zu Feinden geworden.

Sie selbst leben seit zehn Jahren in den USA. Spiegelt die Filmfigur des mazedonischen Fotografen, der nach langer Zeit in seine Heimat zurückkehrt und nicht begreift, warum sich die einstigen Nachbarn nun bekriegen, Ihren eigenen Blickwinkel wider?

„Before The Rain“ ist kein Dokumentarfilm, sondern eine erfundene Geschichte. Aber als ich 1991 nach sechs Jahren Abwesenheit erstmals wieder nach Mazedonien zurückkehrte, erzeugten die Eindrücke damals tatsächlich den inneren Zwang, dieses Skript über meine Heimat zu schreiben. Dort herrscht eine sehr eigentümlich Situation. Alles scheint friedlich, andererseits wird der Rest des Landes gerade in Stücke gerissen. Hunderttausende werden getötet oder vertrieben. Und das Schlimmste dabei ist, daß sich die Menschen langsam an diesen Zustand gewöhnen. Ich wollte zeigen, wie sich Dinge hochschrauben können. Ich bin während des Kalten Krieges in einem sozialistischen Land groß geworden. Deshalb ist für mich der Begriff „politischer Film“ ein schmutziger Ausdruck. Während der Dreharbeiten gab es fünf verschiedene Szenarios, wie der Krieg in Mazedonien ausbrechen könnte.

Sie sind in Jugoslawien geboren und aufgewachsen, leben aber seit vielen Jahren in den USA. Was hat Sie hierher gebracht?

Mein Wunsch, Filme zu machen. Eigentlich wollte ich nach dem Abitur in Skopje eine Filmschule in Polen besuchen. Aber dort hätte ich Jahre auf einen Studienplatz warten müssen. Also bewarb ich mich in den USA an einer kleinen Filmschule in Illinois. Irgendwie gefiel mir die Idee, wegzugehen und sich in einem anderen Land neuzuerfinden, befreit von dem Druck der Geschichte. Amerika schien mir damals der richtige Platz dafür.

In den siebziger Jahren herrschte in Jugoslawien ein ziemlich liberaler Geist. Ich hatte in der Schule in Skopje acht Jahre Entlisch, wie übrigens fast alle meine Klassenkameraden auch. Kaum jemand lernte damals noch Russisch. In den Kinos liefen amerikanische Filme, und man konnte relativ frei reisen. Ich hatte eigentlich auch gar nicht vor, in den USA zu bleiben. Nach Abschluß der Filmschule kehrte ich wieder nach Jugoslawien zurück und versuchte dort zu arbeiten. Das war 1982. Nachdem ich dort drei Jahre lang vergeblich versucht hatte, irgendwelche Filmprojekte zu realisieren, kehrte ich schließlich ziemlich genervt wieder nach New York zurück.

Dort haben Sie als Videoclip- Regisseur für Rap-Gruppen wie Arrested Development Karriere gemacht. Wie kommt man vom sozialistischen Jugoslawien ins Musikbusineß Amerikas?

Ich hatte ein Filmskript für einen Spielfilm. Dafür drehte ich einen siebenminütigen Pilotfilm, mit dem ich auf einer US-Film-Messe Leute überzeugen wollte, Geld in das Projekt zu investieren. Statt dessen bekam ich Angebote für Commercials und Musikvideos. Als dann mein Video für die Gruppe Arrested Development (Tennessee) 1992 den MTV- Video-Award gewann, konnte ich mich vor Aufträgen kaum mehr retten. Ich konnte das, was Bands wie Arrested Development, Main Source (Soundtrack zu White Man Can't Jump), UMC oder George Lamont wollten, ganz gut umsetzen. Interview: Ute Thon