Unterzeichnung trotz entscheidender offener Fragen

■ Israelische Siedler drohen den Palästinensern mit Krieg im Westjordanland

Tel Aviv (taz) – Wenige Stunden vor der für heute geplanten Unterzeichnung des Abkommens über die Ausweitung der palästinensischen Autonomie sind entscheidende Fragen noch ungelöst. Strittig blieb gestern zwischen Israelis und Palästinensern vor allem die Freilassung der in israelischen Gefängnissen sitzenden Palästinenser sowie die Terminierung der Umgruppierung israelischer Truppen im Westjordanland.

Trotz der Differenzen soll das Abkommen heute abend in Washington unterzeichnet werden. Unter der von US-Präsident Clinton eingeladenen Prominenz sind neben Israels Regierungschef Jitzhak Rabin und Außenminister Schimon Peres sowie dem Vorsitzenden palästinensischen Autonomieverwaltung, Jassir Arafat, die Staatsoberhäupter Ägyptens und Jordaniens, der marokkanische Ministerpräsident Abdellatif Filali und der russische Außenminister Andrej Kosirew. Die Unterzeichnung des sogenannten Oslo-zwei- Abkommens wird vor dem Weißen Haus stattfinden, jenem Ort, an dem vor zwei Jahren das in Oslo ausgehandelte Grundabkommen zwischen Israelis und Palästinensern unterzeichnet wurde.

Immer noch umstritten war gestern die Zukunft der in israelischen Gefängnissen einsitzenden palästinensischen Häftlinge. Während die Palästinenser die Freilassung aller 6.000 Inhaftierten verlangen, erklärte der israelische Umweltminister Jossi Sarid, in der Zeit bis zum kommenden Frühjahr würden in Etappen insgesamt 2.000 Gefangene freigelassen. Auch die Frage der einzelnen Termine für die Umgruppierung der israelischen Soldaten in der Westbank war gestern noch ungelöst. Die Palästinenser bestanden auf der Festlegung eines klaren Übergabeprogramms noch vor der Unterzeichnung. Desweiteren erneuerte Arafat seine Forderung nach einer Erweiterung der palästinensischen Enklave von Jericho.

Israelische Medien unterstrichen gestern die Feststellung des israelischen Ministerpräsidenten Rabin, daß mit „Oslo zwei“ zwar die innere Selbstverwaltung in der Westbank in palästinensische Hände übergehe, jedoch 70 Prozent des Territoriums von Israel besetzt bleibe. Desweiteren behalte Israel die Kontrolle über die Wasserreserven und die Elektrizitätsversorgung. Auch die meisten bedeutenderen archäologischen und den Juden heiligen Stätten verblieben in israelischer Hand. Als besonders wichtig wurde hervorgehoben, daß alle jüdischen Siedlungen und die israelische Armee im Westjordanland verbleiben. Dessen ungeachtet bezeichnete die Führung der Siedler in der Westbank das neue Abkommen mit den Palästinenser als „israelische Kapitulation“. Nach Ansicht der Siedler steht jetzt ein „Krieg zwischen Juden und Arabern auf dem Gebiet von Judäa und Samaria“ bevor, für den Rabin die Verantwortung trage.

Direkt im Anschluß an die Unterzeichnung soll in Washington eine Konferenz der „Geberstaaten“ stattfinden. Auf Drängen von Weltbank und UNO soll dort eine zügigere Auszahlung von Finanzhilfen für die palästinensische Selbstverwaltung beschlossen werden. Bisher haben die Palästinenser von den zugesagten 2,4 Milliarden US-Dollar nur sechs Millionen erhalten. Mit dem Geld sollen in den Autonomiegebieten vor allem der Ausbau der Infrastruktur, Industrieanlagen und Wohnsiedlungen finanziert werden. Amos Wollin