"Beethoven war schwarz"

■ Neue Platte, neues Label - aber immer noch keine Schublade: Ornette Coleman jazzt weiterhin frei. Der Vater der "Harmolodics" über Black Power, Kommunismus und das musikalische Design des Planeten. Berlin ist ihm "

Wer Tenorsaxophon in der Öffentlichkeit spielt, lebt gefährlich“, haben Sie einmal über die Anfänge ihrer Karriere in den Spielhöllen von Fort Worth gesagt...

Ornette Coleman: So war das auch in den Vierzigern in Texas. Sie wissen nicht, was es heißt, unter den gesellschaftlichen Bedingungen aufzuwachsen, über die wir hier sprechen. Zum Beispiel die High School, auf der ich war. Es war die einzige schwarze High School in der Gegend von Fort Worth. Alle Schwarzen, die im Umkreis von 30 Meilen wohnten und zur High School wollten, mußten dorthin. Ich glaube, daß die Aufhebung der Rassentrennung dort erst gegen Mitte der Sechziger kam. Das ist also noch gar nicht so lange her.

„Street Blues“, der Opener Ihrer neuen CD, setzt dieser frühen Zeit ein Denkmal ...

Sicher, ich versuche hier, über meine ganz persönlichen Eindrücke zu sprechen – nicht für andere. Meine Erinnerung landet immer wieder bei den Dingen, die mich eingeschränkt haben. Es geht nicht um Verklärung. Wenn man an die Grenzen seiner Community stößt, sobald man mit Dingen experimentieren möchte, die außerhalb dieser Community liegen, dann vermißt man die Freiheit, solches zu tun. Es sei denn, man weiß, daß das, was man sucht, auch außerhalb der Community nicht existiert.

Sie haben sich die Freiheit dennoch genommen. Wie kam man in Fort Worth zu experimentellen Spielweisen?

Meine musikalischen Interessen waren schon immer sehr breit gestreut. In Fort Worth gab es früher ein Hotel, in dem alle Musiker, die auf dem Weg von New York oder Chicago nach Kalifornien waren, Zwischenstopp machten. Leute wie Lester Young und Dizzy Gillespie spielten dort und erweiterten unseren Horizont. Ich möchte nicht sagen, daß die Segregation unsere Musik beeinflußt hat, sondern daß gerade unsere Musik den Leuten bewußt gemacht hat, wie überaltert das System der Rassentrennung doch war. Außerdem: Als Musiker hat man Möglichkeiten, die viele andere Menschen nicht haben. Man spielt den einen Abend nur für Weiße, den anderen für Mischlinge und den nächsten nur für Schwarze. Man wird beschäftigt, um die Menschen zu unterhalten. Nicht in erster Linie, um etwas zu tun, was einem Spaß bringt. Das betrifft die Musiker, die für die englische Königin spielen, ebenso. Wenn sie am nächsten Tag im Flugzeug sitzen, wissen Sie, daß die Begegnung sich kaum wiederholen wird.

Deshalb „Remove The Caste System From Sound“?

Meine Musik ist antisegregationistisch, das ist ihr Wesen. Und ich denke, daß man das spürt, wenn man sie hört. Was ich aber eigentlich meinte, ist, daß diese Sichtweise der Dinge mich früher nicht interessierte und heute auch nicht. Es mag für Euch hier interessant sein, einen Schwarzen nach seiner Lebensgeschichte zu fragen, das mag für Euch gar unterhalterische Qualitäten haben, in meinen Augen ist es leicht stumpfsinnig und langweilig.

Weil Biographie überhaupt langweilig ist? Oder weshalb?

Nur weil man in der gleichen kulturellen Sphäre aufgewachsen ist wie andere Schwarze, heißt das überhaupt nicht, daß man über den gleichen Erfahrungshorizont verfügt. Und das hat wiederum nichts mit Schwarz oder Weiß zu tun.

Trotzdem heißt ein Titel auf Ihrer neuen CD „Local Instinct“. Sie erwähnten in dem Kontext ein Buch, das von Kids in Harlem handelt. Sie sind Analphabeten, können aber Computer reparieren.

Damit wollte ich auf die Umwelteinflüße ansprechen, die das Verhalten der Menschen maßgeblich prägen. „Local Instincts“ sind sozial geprägte Qualitäten, die unabhängig jeglicher Rassenkategorien auf der ganzen Welt anzutreffen sind. Meine Story repräsentiert nicht die schwarze Rasse. Es gibt schlimmere Geschichten als die meine. Aber das ist das Problem, das hinter der Wahrnehmung von Black People steckt: Nach außen sind sie nur im Stück zu haben.

Von „Rasse“ hat aber gar niemand gesprochen. Was macht Sie so mißtrauisch? Schließlich wurden Sie in den Sechzigern auch als Sprachrohr der Black-Power-Bewegung bezeichnet.

Ich möchte darauf ganz ehrlich antworten. Als ich in den fünfziger Jahren nach L.A. kam, traf ich auf zwei weiße Jungs, die Kommunisten waren und Musiker. Sie sagten mir, daß ich das, was ich vorhatte, nur mit ihnen machen könnte. Sie wollten mich agitieren. Und sie wollten mir zeigen, daß sie mich als Mensch respektierten und daß ich in ihrer Umgebung frei wäre, meine Musik zu spielen. Doch dann kam die russische Invasion in Ungarn. Und auf einmal war alles anders. Sie sprachen nie wieder so wie vorher. Und als sie mich eines Abends darauf spielen hörten, merkten sie, daß ich doch nicht das spielte, was sie dachten. Ich spielte so wie zuvor, aber sie dachten auf einmal anders darüber. Und sie sagten dann, daß sie nicht mehr mit mir spielen könnten, und wir trennten uns. Für mich blieb davon als Erfahrung, daß man vorsichtig sein muß, sein Talent mit offenen Armen in eine Umgebung einzubringen, wo es eigentlich nur darum geht, dein Talent für andere Interessen nutzbar zu machen oder zu kopieren. Das, was ich als Freundschaft und Offenherzigkeit mißverstand, war für sie letztlich nur politisches Busineß gewesen.

Seit den Sechzigern haben Sie Politik hassen gelernt?

Ich halte mich von solchen Zusammenhängen fern. Das betrifft Schwarze genauso. Lediglich die Kirche bildet unter diesen Organisationszusammenhängen eine Ausnahme – denn was immer man auch tut, es wird nicht die Kirche ändern. Wenn der letzte Arsch mit der Tochter des Priesters schläft, braucht er nur um Vergebung zu bitten. Für sein Fehlverhalten wird man da nicht gleich erschossen.

Von Black Power zum Universalismus?

Ich bin jedenfalls mehr interessiert an menschlichen Qualitäten, nicht restringierten Wertvorstel- lungen und an Sensationen, die unabhängig von der jeweiligen Hautfarbe der Akteure sind. Ich habe bis heute Weiße in meiner Band – weil ich meine Musiker ausschließlich nach Kriterien auswähle, die mit der Aufführung meiner Musik zu tun haben. Dummerweise hat die europäische Kultur die Vorstellung davon geprägt, wie dieser Planet designt ist. Wenn Sie an Musik denken, die weiß genannt wird, fällt Ihnen die sogenannte

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europäische Klassik ein. Warum?

Sagen Sie's mir.

Beethoven war schwarz, nicht wahr? Im Ernst: Wenn Sie meinen, daß musikalische Konzepte etwas mit „Weiß“ oder „Schwarz“ zu tun haben, dann haben wir eine Meinungsverschiedenheit. Entertainment scheint mir heute die einzige Kraft zu sein, die über rassische Kategorien hinaus wirkt. Das ist, soziologisch gesehen, ein sehr wichtiges Thema.

Sie sind dafür bekannt, dem Musikbusineß sehr kritisch gegenüberzustehen. Kommerziellen Erfolg hat Ihnen das bis heute jedoch kaum eingebracht. Leiden Sie immer noch unter den Spätfolgen des Free-Jazz-Black-Power-Images?

Das Wort „leiden“ mag hier etwas irreführend sein. Ich gehe bis heute davon aus, das betrifft mein neuestes Prime-Time-Projekt genauso, daß es immer einen gibt, der den Gott spielen will, der letzte Entscheidungen trifft. Der einzige Weg, sich davor zu schützen, wahnsinnig, gewalttätig oder rassistisch zu werden, ist meiner Meinung nach, zu akzeptieren, daß die jeweiligen Territorien dieser Möchtegern-Götter nicht von ewiger Dauer sein werden. Ich habe mich deshalb immer bemüht, meinem Sohn Denardo so wenig wie möglich im Weg zu stehen. Desto freier kann er sein Leben entwickeln. Es ist sehr schwer zu realisieren, wie frei ein Mensch ist, der nicht an Schubladen gebunden ist. Ich fühle mich dieser Gruppe nicht zugehörig, aber ich muß feststellen, daß ich bis heute immer noch darum kämpfe, mit dem Label, das mir einst zugewiesen wurde, zu leben, und daß mir dieser Kampf die Zeit und Energie nimmt, die ich bräuchte, mein eigenes Selbst zu finden. In diesem Sinne habe ich also gelitten.

Ihre neue CD erscheint auf dem renommierten Verve-Label. Kommt nach fast achtjähriger Pause und dem Verve-Vertrag in der Tasche endlich auch den kommerziellen Durchbruch für Ornette Coleman?

Wir haben die ganze Zeit Platten produziert für unser Harmolodic-Label, aber wir hatten keine Vertriebsmöglichkeiten. Ich hoffe, daß sich das mit Verve jetzt ändert. Verve hat auf jeden Fall die Potenz, unsere Musik so gut wie kein anderes Label unter die Leute zu bringen. In zwei Jahren können wir dann darüber sprechen, wie das gelungen ist.

Sie werden am 1.November das JazzFest in Berlin eröffnen. Was werden Sie dort geben?

In Berlin wird es eine Multimediaperformance mit Tänzern, Rappern und Lasershow geben. Aber Berlin ist irgendwie ein sehr kompliziertes Pflaster.

Warum?

Zu politisch. Und von jedem Konzert, das ich da mal gegeben habe, haben sie immer Bootlegs produziert. Ich glaube, Berlin ist die Stadt mit den meisten Coleman-Bootlegs. Das ist kein gutes Image. Interview: Christian Broecking

Ornette Coleman and Prime Time: „Tone Dialing“ (Harmolodic/ Verve 52 74 83-2).