■ Ist Taslima Nasrin gar kein Opfer staatlicher Verfolgung?
: Eine Traumkarriere: Märtyrerin

Ach, verfolgt müßte man sein! Eine unbequeme Mahnerin, so richtig heftig ausgegrenzt und mundtot gemacht, das wäre ein Leben! Ein weiblicher Voltaire, Solschenizyn, Rushdie müßte man sein, angefeindet und verhaßt, im eigenen Lande mit dem Tode bedroht, eine Märtyrerin der Freiheit, die in den Untergrund gehen muß, dann allerdings unter Lebensgefahr in letzter Minute unter den Augen der Weltpresse das sichere Exil erreicht, bejubelt von den Kollegen, die an ihren heimeligen Schreibtischen nichts zu befürchten haben.

Diesen typischen Traum von einer „internationalen Märtyrerkarriere“, so nennt es der Journalist Burkhard Müller-Ulrich (Badische Zeitung, 14.8.1995; SZ, 23.9.1995), hat Taslima Nasrin in ihrer Heimat Bangladesch geträumt – und wir alle wissen: Der Traum wurde wahr. Allerdings mußte die Autorin dabei kräftig nachhelfen: Sie schrieb feministische Kolumnen mit gewagten Sexphantasien und veröffentlichte einen Roman über muslimische Greueltaten an Hindus in Bangladesch. Die Aufregung hielt sich jedoch in Grenzen. Von Verfolgung konnte noch nicht die Rede sein. Wenn man aber nun vielleicht frech weg fordern würde, die Scharia umzuschreiben, weil sie frauenfeindlich sei? Irgendein Dorfmullah würde sich doch wohl erbarmen, eine Fatwa formulieren, ein paar tausend Dollar auf den Kopf der Apostatin aussetzen, und bald hätte man den ersehnten Mob auf den Straßen, der Staat würde sich gegen einen wenden, der Westen müßte sich einschalten, die taz würde eine Kampagne machen, man könnte endlich aus dem öden Bangladesch ins Exil, und im Nu wäre man top of the Menschenrecht-Pops, auf du und du mit Susan Sontag, Günter Grass und den anderen Superhelden des Weltgewissens ...

So etwa dürfen wir uns nach Burkhard Müller-Ulrichs Enthüllungen die Karrierestrategie einer Drittweltautorin vorstellen, die es mit literarischen Mitteln nie zu internationaler Aufmerksamkeit gebracht hätte: „Für diese Karriere war es nämlich nötig, sich als Opfer staatlicher Verfolgung zu präsentieren.“ Müller-Ulrich schreibt, „die reflexhafte Reaktion vieler europäischer Intellektueller auf die Kunde von der furchtbaren Fatwa war zweifellos auch etwas Schönes. Unschön war bloß, daß sich seither niemand die Mühe machte, den wirklichen Stellenwert der Fatwa zu ergründen. Von jedem Orientalisten wäre zu erfahren gewesen, daß es sich um einen beliebigen Bannspruch eines belanglosen Dorfmullahs handeln kann.“ Müller-Ulrich hätte dies auch aus der taz erfahren können. Auf den Unterschied des „Falles Nasrin“ zu dem von Salman Rushdie ist in dieser Zeitung ständig hingewiesen worden, nicht zuletzt von Salman Rushdie selber.

Wir wollten uns allerdings nicht mit der „Belanglosigkeit“ der Provinzmullahs beruhigen und auch nicht mit der bescheidenen Höhe des Kopfgeldes, für das hierzulande nicht einmal ein Rufmord, in Bangladesch jedoch so ziemlich alles zu haben wäre: Man hat schließlich schon davon gehört, daß auch belanglose Leute zum Mittel des politischen Mordes greifen.

Im entscheidenden Punkt, an dem auch die Reflexe jener Intellektuellen ins Spiel kamen, die mit ihren Briefen und Appellen Nasrin verteidigten, gibt es auch nach den „Enthüllungen“ nicht Neues zu verzeichnen. Es ist nicht hinzunehmen, wenn irgendwer für eine abweichende Meinung drangsaliert und gar mit dem Tode bedroht wird. Daß es einen Mordaufruf gegen Nasrin gegeben hat, kann auch Müller-Ulrich nicht bestreiten. Und selbst wenn es ihn nicht gegeben hätte, der Einsatz der Schriftsteller für Frau Nasrin wäre dennoch berechtigt gewesen. Der Haftbefehl der bangladeschischen Regierung vom 4. Juni letzten Jahres, das Strafverfahren wegen der Verletzung des Religionsfriedens durch das Interview über die Frauenfeindlichkeit der Scharia, waren alarmierend genug.

Man kann in den „Enthüllungen“ Müller-Ulrichs eine gewisse Enttäuschung lesen. „Taslima Nasrin wurde in Dhaka von der Polizei geschützt, bis sie es vorzog ,unterzutauchen‘, was in der 9-Millionen- Stadt einfach bedeutet: in einem anderen Apartment zu wohnen.“ Bloß ein anderes Apartment? Das stinkt Müller-Ulrich zuwenig nach Dritter Welt. Auch daß Nasrin bei dem Prozeß im Höchstfalle nur eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und nicht der Tod drohte, ist irgendwie frustrierend. Dafür brauchen wir doch nicht den Orient, das können wir ja fast noch selber! Wer bei uns eine reguläre „Märtyrerkarriere“ machen will, der muß schon pittoreskere Formen der Verfolgung nachweisen können.

Der Enthüller in seinem Eifer bemerkt einen Selbstwiderspruch nicht: Warum sollte der Staat eine Frau geschützt haben, wie er ja behauptet, wenn die Todesdrohungen gegen sie belanglos waren?

Aber lassen wir das. Worum geht es eigentlich? Die Moral von der Geschichte hat Frank Schirrmacher (FAZ, 26. 9. 1995) herauspräpariert: „Schon kurz nach den ersten Meldungen über die Auseinandersetzungen um Taslima Nasrin galt den westlichen Medien das Regime in Bangladesh als fundamentalistisch, die Autorin als isolierte und gefährdete Figur inmitten einer hysterischen und von Rachegedanken durchdrungenen Gesellschaft.“

Frank Schirrmacher kann sich das Engagement der Intellektuellen nur durch „die Leichtfertigkeit“ erklären, „mit der die geistigen Eliten des Westens neuerdings bereit sind, kulturspezifische Äußerungen islamischer Gesellschaften als ,fundamentalistisch‘ und grundrechtsfeindlich zu betrachten“.

Man hat also die alte „westliche Menschenrechts-Maschinerie“ (Müller-Ulrich) angeworfen, um den Fall Nasrin für die Auswalzung des „Feindbilds Islam“ zu benutzen? Das arme kleine Bangladesch ein wehrloses Opfer der Westintellektuellen, die ihren Kulturimperialismus als Universalismus verkleiden? Das Bild ist so grotesk falsch, daß einem fast die Luft wegbleibt.

Daß eine Todesdrohung wie die gegen Nasrin, ausgesprochene nach den dortigen Gesetzen in Bangladesch ein Verbrechen ist, ist von den Kampagnen-Teilnehmern ebenso betont worden wie die traditionelle Liberalität der bengalischen Kultur. Die besondere Schande der Regierung von Bangladesch sah Salman Rushdie in seinem Brief an Taslima Nasrin darin, daß sie sich „im Widerspruch zu ihrer eigenen Geschichte, ihrer eigenen Zivilisiation, ihren eigenen Werten“ auf die Seite der religiösen Extremisten geschlagen hatte.

Es ist nicht als „kulturspezifische Äußerung islamischer Gesellschaften“ (Schirrmacher) hinzunehmen, wenn ein Land wie Bangladesch einer Querulantin wie Frau Nasrin nichts anderes als die Märtyrerkarriere zu bieten hat. Jörg Lau