Eine "Übung am falschen Objekt" sei die Solidaritätskampagne für Taslima Nasrin gewesen, heißt es zur Zeit im deutschen Feuilleton: ihr Buch ein Plagiat, von Verfolgung keine Spur. Waren die "Briefe an Taslima Nasrin" vom Sommer 94 eine Far

Eine „Übung am falschen Objekt“ sei die Solidaritätskampagne für Taslima Nasrin gewesen, heißt es zur Zeit im deutschen Feuilleton: ihr Buch ein Plagiat, von Verfolgung keine Spur. Waren die „Briefe an Taslima Nasrin“ vom Sommer 94 eine Farce?

Ein feines Feindbild für fast alle Fälle

Im November 1993 tauchten im Westen erste Berichte über Demonstrationen auf, bei denen islamische Gläubige den Tod der 32jährigen Schriftstellerin Taslima Nasrin forderten. In ihrem Roman „Lajja“ hatte sie beschrieben, wie Muslime an den Hindus in Bangladesch für die Zerstörung der indischen Bobri Moschee durch Vergewaltigungen und Zerstörungen Rache nahmen. Nasrin hatte außerdem in einer Zeitungskolumne gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter im Islam protestiert, die Ablösung Bangladeschs von Indien 1947 kritisiert und pornographische Vorstellungen formuliert. Dadurch hatte sie sich als Dreifachfeindbild qualifiziert, das bis dahin divergente Fronten einte: Die fundamentalistischen Muslime sahen in ihr die Apostatin, die den lebensregelnden Anspruch der Religion ablehnt und ihre Ausübung ins Private verwiesen sehen will. Auch den moderateren Muslimen gilt der Koran noch immer als Materialisierung von Gottes Wort und damit unveränderlich. Schließlich verletzt ihre Forderung, die indo-pakistanische Teilung aufzuheben, (die mit den religiösen Differenzenbegründet worden war) das nationale Selbstverständnis auch der städtischen Mittelklassebangalen.

Solchermaßen dreifach zum Feindbild geworden sah sie sich im Mai 1994 mit Überfällen auf Buchhandlungen, Massendemonstrationen und öffentlichen Hinrichtungsforderungen konfrontiert. Am 13. Juli startete die taz, gemeinsam mit Reporters sans frontières, die Solidaritätskampagne „Briefe an Taslima Nasrin“. Als die Regierung, die sie bis dahin zeitweise vor den Morddrohungen geschützt hatte, einen Haftbefehl wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ beantragte, tauchte Nasrin unter. Im August verließ Taslima Nasrin Bangladesch und trat ihr Exil in Schweden an.

In der Süddeutschen Zeitung vom 23.9. behauptete nun Burkhard Müller-Ullrich, dieSolidaritätsaktionen seien „eine Übung am falschen Objekt“ gewesen. Begründung: Erstens handele es sich um eine Schriftstellerin von „erbärmlicher literarischer Qualität“. Außerdem würde in ihrem Roman das gesamte Bild Bangladeschs auf den Kopf gestellt. Aus einer „handvoll Todesopfer“, mache Nasrin „ein Land der Massaker“. Dabei handele es sich viel mehr um „eine der wenigen Demokratien in dieser Weltregion“. Weder sie selbst noch ihre Familie sei jemals bedroht worden (was dann die Frage offenläßt, warum sie, wie Müller-Ulrich hervorhebt, vom Staat geschützt werden mußte). Im übrigen sei der Roman zu weiten Teilen ein Plagiat. Aber im „Taslima-Taumel“ habe man all dies nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

taz-Korrespondent Bernard Imhasly hatte demgegenüber in seinen Berichten stets beschrieben, wie kompliziert der Kampf der bangladeschischen Regierung um eine laizistische Verfassung ist, und daß Taslima Nasrin nicht wegen ihrer schriftstellerischen Qualitäten gerettet werden sollte, sondern weil man wohl eine 25.000 Mann starke, haßerfüllt Morddrohungen skandierende Gruppe von Fundamentalisten als ausreichende Bedrohung ansehen kann.

Mindestens ebenso kompliziert scheint das Verhältnis der hier lebenden bangladeschischen Intellektuellen zu Frau Nasrin. Viele von ihnen, wie der Schriftsteller Daud Haider, genießen im Gegensatz zu ihr nicht den Schutz der Regierung und könnten, selbst wenn sie wollten, nicht wieder nach Bangladesch zurück – was eine Neigung zur Verharmlosung ihrer lage ja zumindest nicht auschließt. Muslimische Exilanten lehnen ihre Auffassung vom Koran ab, wollen aber nicht öffentlich gegen sie Stellung nehmen, um nicht, wie uns Haider sagte, „als die Machos dazustehen, von denen sie immer redet“. Viele betrachteten sie gar als „Speerspitze des westlichen Imperialismus gegen den Islam“, anderen wieder ist zu proindisch. Niemand von ihnen hat allerdings öffentlich behauptet, sie sei nicht ernsthaft verfolgt worden. Mariam Niroumand