Das Kreuz mit den Haken

Als die Hakenkreuzfahne guten Stoff abgab: „Mode“ vor 50 Jahren – „Aus zwei mach eins“: Eine Ausstellung zeigt, was sparen heißt  ■ Von Petra Brändle

Ein süßes Kleid in rot-weiß- grau. Herzen auf den Taschen des weitschwingenden Rockes. Liebevoll und fein säuberlich ist das gute Stück genäht. Ein bißchen erinnert das Kleid für ein etwa vierjähriges Mädchen an ein Dirndl, genäht wurde es 1947. Die Schneiderin hatte, wie es in den Notzeiten üblich war, einen gebrauchten Stoff umgearbeitet und gewendet. Bis 1945 war der Stoff eine Fahne, die Hakenkreuzfahne. Nur wenn man dies weiß, sind die grauen Muster im Rock als Kehrseiten der vier Haken zu entschlüsseln. Wo sie sich kreuzen würden, ist das Oberteil angesetzt.

Das Kleid ist kein Einzelbeispiel dafür, wie frei in der Not mit den Relikten des nationalsozialistischen Staates umgegangen wurde. HJ-Hemden wurden kurzerhand gefärbt, die Soldaten-Uniform zu einer Damenjacke umgearbeitet. Später, nach dem Krieg, hingen Jacken aus GI-Decken in den Schränken, die Fallschirmseide wurde als Kleidungsstoff entdeckt.

„Not macht erfinderisch“, dies belegt die Ausstellung des Münchner Modemuseums trefflich. Welch unbegreifliche Mühe steckt in der Unterwäsche, die aus den aufgetrennten, hauchdünnen Fäden der amerikanischen Zuckersäcke gestrickt wurde? Daneben: Strickkleider aus Brennesselfaser. Staunend wandelt man durch die Kleidungsgeschichte Deutschlands von 1938 bis 1950. „Aus zwei mach eins“ könnte ihr Motto lauten, und so heißt auch die Ausstellung des Münchner Modemuseums.

Immer wieder „berühren“ die Geschichten, die hinter diesen Ausstellungsstücken stehen: Das blau-weiß karierte Dirndl wurde aus der Bettwäsche gefertigt, die bei der Plünderung einer Flak- Stellung abfiel. Kurz danach, so die Erzählung, trugen fast alle Frauen des bayerischen Dorfes ähnliche blau-weiße Kleider. Oder der mit Blumen handbemalte Hausmantel aus Fallschirmstoff: Seine Trägerin riskierte viel, als sie den Stoff besorgte – und das, obwohl er ganz und gar „unfunktional“ war, also nicht wärmte (schließlich gab es damals nichts zu heizen), sondern „nur“ schmückte. Als Näherin hatte sie im „Haus der Kunst“ für amerikanische Soldaten gearbeitet, den Stoff hatte sie sich heimlich unter ihrem Kleid um den Körper gewickelt und aus dem Haus geschmuggelt.

Klein ist die Ausstellung aus dem Alltag vor 50 Jahren, vom Sparen, Pflegen, Wiederverwerten und Verzichten erzählt sie. An jedem Ausstellungsstück ist die Maxime des Mangels abzulesen. Seit 1939 ist die modische Linie auf den geringstmöglichen Stoffverbrauch angelegt, Selbstnähen steht hoch im Kurs. Ebenso das Ausbessern und Wiederverwerten von noch guten Stoffpartien. „Aus zwei mach eins“: die Devise wird zur Mode stilisiert; Materialmix ist überall zu entdecken. Bluse plus alter Sommermantel ergeben ein neues Kleid. Ein abgetragener Herrenmantel wird zur Sporthose, Kragen verändern nach Verschleiß ihre Form, Ausschnitte werden tiefer, Ärmel kürzer, abgestoßene Mantelkanten neu verkleidet. Die Not: eine Tugend! 1944 heißt es in einem Handarbeitsheft (mit Schnittbogen) der „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Textilstoffe beim Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung“: „Dem fraulichen Bedürfnis nach Abwechslung kommt das Verwandlungskleid entgegen. Es gibt viele reizvolle Möglichkeiten, mit geringen Mitteln dem Kleid ein ganz neues Gesicht zu geben.“ Gleichzeitig ergehen Appelle zur Kleiderpflege, die nach Kriegspflicht klingen: „Verwenden wir nur täglich einige Minuten für die Pflege unserer Kleidung und verlängern dadurch ihre Lebensdauer, so werden hierdurch beachtliche Rohstoffmengen für kriegswichtige Aufgaben frei.“ Selbstverständlich erfolgt der Rat, daß die feuchte Abendluft das Bügeln ersetze – „und es wird Strom und Gas gespart. Auch hier können wir also Kohlenklau ein Schnippchen schlagen.“

Solche Beispiele erschließen den damaligen Alltag hervorragend. Mit relativ wenigen Ausstellungsstücken gelingt die Einordnung in den zeitlichen Kontext. Drei Hochzeitsausstattungen sprechen Bände. Ganz in Schwarz das Brautkostüm, jedoch modisch geschnitten zu Beginn des Krieges. In Uniform ging der Bräutigam zu Kriegszeiten. 1948 hingegen hatte die Braut eine braun-blau-rot karrierte Wolldecke zu einem Kleid geschneidert, der Bräutigam trug einen braunen, ursprünglich nicht zusammengehörenden Anzug aus Vorkriegszeiten.

Die Schuhe schließlich stehen stellvertretend für die enormen Anstrengungen, die aufgebracht wurden, um überhaupt angezogen zu sein. Aus Pappe und mehreren Papierlagen fertigte ein Münchner Sohlen, im günstigsten Falle schnitzte er sie aus Holz. Dünne Plastikriemchen oder Lederstreifen, auf simpelste Weise mit einer Zickzackschere zugeschnitten, wurden daran festgenagelt.

Fast schon makaber muten die Exponate an, die ergänzend zu den Kleidungsstücken die damaligen Zwänge zur Improvisation verdeutlichen: Was kurz vorher noch den Tod brachte, mußte nun als Hilfsmittel zur Ernährung herhalten. Geschoßhülsen, Waffen und Stahlhelme goß man neu, um daraus Suppenlöffel und Geschirr zu formen, und die Halterungen der Gasmasken wurden zu Taschen geflochten.

Angesichts dieser Stücke wird plötzlich die hemmungslose Sucht nach Glitzer, Glamour und Verschwendung in den 50er Jahren verständlich. Andererseits wiederum erscheinen die heutigen Recycling-Ansätze junger Modemacher nur mehr als kokette Versuche, dem schnellebigen Modegeschäft und der Verschwendung Einhalt zu gebieten.

Die Ausstellung ist verlängert bis zum 30.10. und unbedingt einen Besuch wert: Im Münchner Stadtmuseum, Abteilung Modemuseum, St.-Jakobs-Platz 1