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Wand und BodenDer Übergang vom Lesen ins laute Sprechen

■ Kunst in Berlin jetzt: Neue Moskauer Fotografie, Bigert/Bergström, László Lakner

Ausstellungen konzeptueller Fotografie von Künstlern aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion sind ein Vergnügen. In sehr unterschiedlichem Verfahren schaffen sie es, die Fotografie aus dem alten Propagandakontext ihrer massenhaften Verbreitung – dem avantgardistischen Kontext der Revolutionsära ebenso wie dem totalitären Kontext des sozialistischen Realismus – herauszulösen und dennoch keine lahme und bedeutungsschwere Fotokunst zu machen.

„Zeitgenössische Fotografie aus Moskau“: Unter diesem Titel präsentiert jetzt eine auf drei Orte verteilte Ausstellung die geballte Ladung aktueller Protagonisten und deren Arbeiten. Der Neue Berliner Kunstverein zeigt dreidimensionale Fotoobjekte und Installationen. Noch im Gedächtnis ist Vladimir Kuprianov, der kürzlich Einzelausstellungen im Haus am Waldsee und der Galerie Inge Herbert hatte. Der Petersburger Eremitage entstammt die „Decke“, eine Fotografie, die wie die „Drei Grazien“ auf eine Plexiglasplatte gedruckt ist, die dem Titel entsprechend von der Decke hängt. Vladislav Efimov hat zwölf schwarze hohe Holzschächte aufgestellt, in denen sepiabraun getönte Fotos von Gerätschaften wie Telefon, Pistole oder Thermometer eingelassen sind. Nur ein Betrachter kann jeweils in einen Schacht hineinschauen – eine durch und durch individuelle Angelegenheit. In Vadim Fishkins „Sonne/Orbit“ kreist nicht die Umlaufbahn aus merkwürdigen Fotos von Ritterrüstungen und sonstigen Abschirmungsarchitekturen um das Zentrum, sondern das Zentrum – ein aktiver Diaprojektor – kreist auf einem Schallplattenspieler, dessen Nadel hängt. Deswegen kreischt eine immer gleiche, mir unverständliche Wortfolge durch den Raum. Anatolij Shuravlev hat seine fotografischen Abbildungen verschiedener klassischer Statuen mit einer Schnur bereichert. Die Bondage-Szenen haben zwar kalauerhaften Witz, weil Körpergesten in ihrer Expressivität durch die Fesselung folgerichtiger erscheinen als ohne sie – dennoch ist das Ganze zu dekorativ. Vier kindliche Pappkameraden hat Olga Chernysheva um eine quadratische Tischplatte gruppiert. Die Schwarzweißfotos zeigen die Kinder, wie sie sich die Nase an einer (jetzt imaginären) Glasscheibe plattdrücken. Ebenso simpel wie effektvoll ist auch die Installation von Maria Serebriakova. Zwei ineinander verhakte Parkbänke, deren Sitz und Rückenlehnen Glasscheiben mit dem Foto einer Gischtwoge bilden. Man würde sich gerne auf sie setzen, um das Meer besser beobachten zu können. Aber genau das würde nicht helfen. Die Gruppe AES schließlich multipliziert „Die Narbe“, die chirurgische Naht eines Moskauer Krankenhauspatienten, die sich von der Brust bis in den Unterbauch erstreckt, in eine aufrecht stehende Säule und eine liegende Röhre, sorgsam an den Enden mit Mullbinde umwickelt. Auf der einen Hälfte sieht das medizinisch scheußlich aus, auf der anderen wie delikater rosafarbener Marmor.

Bis 5.11., Di-Fr 12-18, Sa/So 12-16 Uhr, Chausseestraße 128/129.

Die Schweden drehen sich derweil im Kreis. Besser: Mats Bigert und Lars Bergström, in der Künstlerpaarung Bigert/Bergström seit 1985 existent, treten in ihrem „Looped Incubator“ auf der Stelle. „Looped Incubator“ ist eine Art Forschungs-Iglu aus durchsichtiger Plastikfolie, in dem sich die Bodenscheibe dreht, die die in Blaumänner gekleideten Künstler am Laufen hält. Daneben ist im Studio II des Künstlerhaus Bethanien für die BesucherInnen eine „Transit Chamber“ aufgebaut, ein außen mit weißem Resopal, innen mit schimmernden Drahtgeflechtpaneelen ausgekleideter Container. In den Paneelen stecken rund 64 winzige TV-Monitore in Streichholzschachtelgröße. Auf ihnen ist „Pumpkin (Loop)“ zu sehen, ein Videostill von 1995: ein mit Augen, Nase und Mund versehener Kürbis, der am oberen Bildrand verschwindet, um am unteren wieder aufzutauchen. Beim Verschwinden zerreißt es ihn in eine Art schadhaftes Gebiß. Endlos läßt sich auch der Katalog zur Installation um zwei Aluringe blättern; und der exquisit gesampelte Text, der einen brisanterweise vom Lesen ins laute Sprechen zwingt, „Lingo Litter“ von Aris Fioretos, wiederholt die Schleife ebenfalls. Mir ist das zu illustrativ; „Loop“ ist überhaupt eine hochgestylte illustrative Blase.

Bis 8.10., Di-So 15-19 Uhr, Mariannenplatz 2.

Illustration fürchtet man auch beim Ausstellungstitel „Celan“. Wie kaum ein anderer deutschsprachiger Autor der Nachkriegsgeneration hat dieser Dichter Hommagen und reklamierte Wahlverwandschaften von Künstlern anderer Gattungen auf sich gezogen. Die böse Vermutung, diese agierten nach dem Prinzip „auf den Schultern von Riesen“, steht im Raum.

Celan bildlich zu „rezitieren“ wie es László Lakner tut, dessen Arbeiten aus den Jahren 1971 bis 1995 Georg Nothelfer präsentiert, hieße zunächst einmal, diese Autorität des Riesen zu unterminieren. Drückt Anselm Kiefer, dessen „Todefuge“-Adaptionen zur gleichen Zeit entstanden wie die von Lakner, Celan mit der Übermacht der Geschichte klein, dann profanisiert Lakner Celans Zeile von der „Schwarzen Milch der Frühe“ im Graffiti-Gestus. Auf einer grauen Sprühwolke lesen sich die Worte „Schwarze Milch“ erst einmal unverdächtig. Und selbst die roten Mohn- und Gedächtnistupfer fallen kaum ins Gewicht. Doch Lakners Graffiti bringen den Aufschrei in Erinnerung, der zur rechten Zeit nicht durch die Öffentlichkeit der Straße hallte. Es ist eine Rückkopplungsbewegung, die die Zeichnungen und Gemälde des ungarischen Künstlers, der seit zwei Jahrzehnten in Deutschland lebt und arbeitet, charakterisiert. Der Rekurs von der Poetik zur Politik ist in der wörtlichen Bildschrift eine glaubwürdige Transkription des Celanschen Sprachgestus. In ihm wird das andere Medium des Malens wenigstens annähernd erfaßt.

Bis 28.10., Di-Fr 14-18.30, Sa 10-14 Uhr, Uhlandstraße 184.

Brigitte Werneburg

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