In Portugal naht die Stunde der Sozialisten

■ Morgen wird gewählt – die sozialdemokratische Regierung hat abgewirtschaftet

Lissabon (taz) – Morgen wird in Portugal gewählt. Regierungschef Anibal Cavaco Sila stellt sich nicht noch einmal zur Wahl, und so wird das Land in jedem Fall einen neuen Ministerpräsidenten bekommen. Er wolle eine „Erneuerung“ seiner rechtsliberalen Sozialdemokratischen Partei (PSD), hatte Cavaco erklärt, und dafür wolle er selbst ein Beispiel geben. Er drücke sich lediglich aus Angst vor der Niederlage, sagt die Opposition.

Seit zehn Jahren ist der 56jährige Ökonomieprofessor portugiesischer Ministerpräsident. 50,3 Prozent der Stimmen hatte die PSD bei der Wahl vor vier Jahren erhalten, und die stärkste Oppositionskraft, die Sozialistische Partei (PS), war mit 29,3 Prozent weit abgeschlagen auf Platz zwei gelandet.

Die „Erneuerung“ der PSD kam in Gestalt des dienstältesten Ministers: Fernando Nogueira. Bevor der 45jährige im Februar zum PSD-Chef gewählt wurde, gehörte er dem Kabinett als Verteidigungsminister an. Doch selbst viele in der PSD trauen dem trockenen, temperamentlosen Nogueira den Machterhalt nicht zu: Bei der Wahl zum Parteichef setzte er sich nur knapp gegen seinen Gegenkandidaten durch, den Außenminister Durão Barroso.

Aufgaben für eine neue Regierung gibt es genug. Cavaco hatte aus dem westeuropäischen Armenhaus Portugal ein „modernes und entwickeltes Land“ machen wollen. Zweistellige Inflationsraten, wie sie in Portugal noch in den achtziger Jahren an der Tagesordnung waren, hat Cavaco mit drakonischen Maßnahmen eingedämmt. So verbot seine Regierung zeitweise die Ratenzahlung beim Kauf von zahlreichen Konsumgütern, wie Stereoanlagen und Spülmaschinen, um so den Konsum zu drosseln. Trotzdem lag die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 1994 noch bei 4,4 Prozent – noch immer um 1,3 Prozent höher als im EU-Durchschnitt.

Unter dem EU-Durchschnitt liegt hingegen die Arbeitslosenrate von 7,7 Prozent. Doch Portugal ist noch immer ein Billiglohnland. Ein portugiesischer Arbeitnehmer verdient durchschnittlich 40 Prozent weniger als der Durchschnitt seiner Kollegen in den anderen Staaten der EU. Auch ist Portugal noch immer ein Auswandererland. Die Emigration wirkt wie ein Ventil, durch das soziale Spannungen entweichen.

Total vernachlässigt hat die Regierung sowohl das Gesundheits- als auch das Bildungswesen. Eine freie Arztwahl gibt es in Portugal nicht. Kranke müssen oft Tage und Wochen auf einen Behandlungtermin bei dem für ihren Wohnort zuständigen Gesundheitsposten warte. Wer es sich leisten kann, bezahlt einen Privatarzt aus eigener Tasche. In der Bildungspolitik sieht es kaum besser aus: Die Einführung von Studiengebühren trieb die Studenten in den Streik – schlechte Bezahlung und Sorge um die Arbeitsplätze machte die Lehrer unzufrieden.

Kein Wunder, daß die oppositionellen Sozialisten von der PS unter ihrem Kandidaten António Guterres schon jetzt verkünden, die Bildungspolitik werde die „Leidenschaft“ ihrer Regierung sein. In allen Meinungsumfragen liegen die Sozialisten in Führung. Das allerdings verdanken sie weniger ihrem eigenen Profil, als vielmehr den Abnutzungserscheinungen der PSD nach einer Dekade Alleinherrschaft.

Zünglein an der Waage könnten diesmal die Volkspartei (PP) auf der rechten oder die Kommunisten auf der linken Seite werden. Sowohl die PS als auch die PSD haben eine Koalition mit einer dieser beiden Parteien bisher jedoch abgelehnt. Theo Pischke