Bündnis-grünes Böllwerk

■ Auf Trüffelsuche: In Berlin-Pankow trafen sich Künstler und Bündnisgrüne, um über künftige Grundsätze einer grünen-nahen Kulturstiftung zu diskutieren

Albert „Ali“ Schmidt hat ein Hobby, das er gerne zu seinem Beruf machen würde: Kulturpolitik. Doch die muß er in seiner Freizeit betreiben, denn Schmidt ist Abgeordneter des Bundestags, und damit Angehöriger jenes hohen Hauses, das nach der letzten Wahl den sogenannten Unterausschuß Kultur, das einzige Gremium, das auf Bundesebene kulturpolitische Fragen behandelte, aufgelöst hat. Frei nach der Devise: Kultur hat man, oder man hat sie nicht, aber man spricht nicht darüber.

Es mag verwunderlich klingen, aber Kulturpolitik spielt im Deutschen Bundestag keine Rolle. Auswärtige Kulturpolitik fällt unter die Zuständigkeit des Außenministeriums, die Förderung von Kunst und Kultur in der Bundesrepublik ist Sache der Länder. Dadurch besteht jedoch die Gefahr, daß grundsätzliche Entwicklungen aus dem Blickfeld geraten.

Während die anderen Bundestagsfraktionen damit offenbar ganz gut leben können, bemühen sich die Grünen seit geraumer Zeit, kulturpolitisch Profil zu gewinnen. Am vergangenen Samstag lud die Arbeitsgemeinschaft „Kunst und Kultur“ des „Stiftungsverbandes Regenbogen e.V.“ in die Literaturwerkstatt nach Berlin-Pankow, um über die geplante Einrichtung eines Fachbereiches „Kunst, Kultur und Medien“ in der neuen grünen-nahen Stiftung zu beraten. Wenn im kommenden Frühjahr die bisherigen drei alternativen Stiftungen zu einer einzigen zusammengefaßt werden, dann will man dort auch einen think tank für kulturpolitisches brainstorming installieren.

Daß sich ausgerechnet die Grünen/Bündnis 90 um solche Dinge kümmern, kann nur auf den ersten Blick erstaunen. Längst hat die ehemalige Ökopartei, nicht zuletzt wegen ihrer wachsenden Regierungserfahrung, alten Animositäten adieu gesagt. Einst verpönte Begriffe gehen locker von den Lippen, die „Wechselwirkung von alternativer Kultur und Hochkultur“ gilt als ausgemacht, als hätte man nie über etwas anderes geredet.

Die Thesen vom Samstag waren denn auch nicht immer ganz neu. So formulierte Helga Trüpel, damals Senatorin für Kultur und Ausländerintegration in Bremen, bereits vor zwei Jahren in der taz (24. 11. 1993) kulturpolitische Standpunkte, die einen Gesinnungswandel innerhalb der Partei verdeutlichten. In Zeiten knapper werdender öffentlicher Haushalte sei es angezeigt, sich verstärkt um private Geldmittel zu bemühen. Zwar solle der Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden, aber man müsse mehr als bisher „die diversen privat organisierten Freundeskreise der Museen, Theater usw. stärker mit einbeziehen“. Darüber hinaus sei die Einführung einer „dezentralen Ressourcenverwaltung“ notwendig, die es Institutionen erlaube, über Etats unabhängig vom starren Haushaltsrecht zu verfügen. Ebenso forderte die promovierte Germanistin die „Abkehr von bloßen Beteiligungsritualen“ und „mittelmäßigen Angeboten“ zugunsten von mehr „Qualität“ in der „künstlerischen und kulturellen Produktion“. Doch die Einführung der durchaus problematischen Kategorie „Qualität“ heißt nicht, daß die Grünen sich von ihren Wurzeln trennen. Für Trüpel muß Kulturpolitik der 90er Jahre beides leisten: die „etablierten klassischen kulturellen Institutionen sanieren“ und „eine freie und soziokulturelle Szene sichern“.

Der Spagat ist kein Spagat, meint Eva Krings, hauptberuflich Geschäftsführerin der Dachorganisation „Deutscher Kulturrat“ und interessehalber Mitglied der AG „Kunst und Kultur“. Außerdem gebe es derzeit Wichtigeres als fundamentalistische Scheingefechte: die Finanzierung der (Kultur-)Hauptstadt Berlin durch den Bund, die eklatanten Kürzungen in der auswärtigen Kulturpolitik, die besonders die mitunter recht „aufmüpfigen“ Goethe-Institute zu spüren bekommen, die Veränderungen der Medienlandschaft und der Rahmenbedingungen in der Europäischen Union, das alles seien Problematiken, die dringend diskutiert werden müßten.

So einleuchtend solche Forderungen sind, dem immensen Rechtfertigungsdruck, der hierzulande jedes kulturelle Engagement begleitet, können sich auch die Grünen nicht entziehen. In der Literaturwerkstatt war zwar ausgiebig von der Macht der Aufklärung die Rede. Doch ebenso häufig kam die wirtschaftliche Dimension von Kultur zur Sprache. Eine fatale Sackgasse, impliziert diese Anschauung doch, daß Kunst und Kultur einen meßbaren Nutzen hätten. Kultur ist jedoch eine Leistung, die keine unmittelbare Gegenleistung erwarten darf. Damit fertigzuwerden, überfordert viele, und auch die Grünen scheinen die Kröte Kosten-Nutzen-Rechnung schlucken zu wollen.

Dies ist nicht der einzige neuralgische Punkt. Die Stiftung, um deren Gründung es derzeit geht, firmiert nicht umsonst unter dem Rubrum „parteinah“. Sie möchten kein Zulieferbetrieb für die Partei werden, sagte Victor Böll, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und einer der Wegbereiter der Neuordnung der grünennahen Einrichtungen. Ob aber in der Praxis nicht doch das Korsett der Parteiinteressen die Arbeit der Stiftung einschränkt, muß sich erst erweisen. Andersdenkende zu unterstützen, erfordert Mut. Und den müssen auch die Grünen erst mal aufbringen. Ulrich Clewing