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Sprungbrett in den Weltmarkt

Die EU und ihr südamerikanisches Pendant Mercosur legen den Grundstein für eine interkontinentale Freihandelszone, den größten Markt der Welt  ■ Von Ingo Malcher

Die Europäische Union will den Zug nach Lateinamerika nicht verpassen. In der uruguayischen Hauptstadt Montevideo unterschrieben am Freitag VertreterInnen der EU und des südamerikanischen Pendants Mercosur den Entwurf für ein Abkommen, das die Schaffung einer gemeinsamen, interkontinentalen Freihandelszone vorsieht. Schon am 15. Dezember soll der endgültige Vertrag in Madrid unterzeichnet werden. Nicht nur ein wirtschaftlicher Zusammenschluß ist geplant, sondern auch die Zusammenarbeit bei Wissenschaft, Umweltschutz, Kunst und nicht zuletzt bei der Bekämpfung des Drogenhandels.

Der Mercosur ist ein attraktiver Partner für die Europäer. Im Mercado Común del Cono Sur, dem gemeinsamen Markt der Länder im Südkegel Lateinamerikas, haben sich 1991 Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zusammengeschlossen. Mit einem gemeinsamen Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 1,18 Billionen Mark stellt die Ländergruppe mehr als die Hälfte der Wirtschaftskraft Lateinamerikas dar.

VertreterInnen der EU schlagen ab 1996 eine Liberalisierung des Handels innerhalb von fünf Jahren vor. Danach ist in einer zweiten Phase die Schaffung einer Freihandelszone EU–Mercosur geplant. Vorgesehen sind Gemeinschaftsunternehmen und Investitionserleichterungen. Eine Freihandelszone zwischen der EU und dem Mercosur wäre mit 567 Millionen Menschen die größte der Welt.

Die EU und Nordamerika buhlen um Lateinamerika

Die Eile der EU, den Fuß auf den lateinamerikanischen Kontinent zu bekommen, ist nicht unbegründet. Beschlossen doch auf dem „Gipfel der Amerikas“ vergangenes Jahr in Miami 34 Staats- und Regierungschefs nord- und südamerikanischer Staaten einen Aktionsplan: Bis zum Jahr 2005 sollen die Verhandlungen über die Schaffung einer Free Trade Area of the Americans (FTAA), einer Freihandelszone von Alaska bis Feuerland, abgeschlossen sein. Allerdings sorgten der Wechsel der Mehrheitsverhältnisse im US- amerikanischen Kongreß und die Finanzkrise Mexikos bereits für Verzögerungen. „Eine zweite mexikanische Krise“, erklärte US- Außenminister Warren Christopher, „könnten die Vereinigten Staaten nicht bewältigen.“ Es ist daher wahrscheinlich, daß die USA erst einmal vorsichtig sind und zunächst Abkommen mit einzelnen Ländern zuwegebringen werden. Chile, Kolumbien, Venezuela und die Mercosur-Länder stehen ganz oben auf der Liste.

Für den Mercosur ist aber die EU der wichtigste Wirtschaftspartner. 1992 wickelten die Länder im Süden Lateinamerikas mehr als ein Viertel ihres Handels mit der EU ab, mit den USA hingegen knapp 21,5 Prozent. Gut die Häflte aller Direktinvestitionen kam im Jahr 1990 aus Europa.

Doch werden bereits skeptische Stimmen laut. Während gerade einmal drei Prozent der EU-Exporte in den Mercosur fließen, gehen umgekehrt 28 Prozent aller Exporte der Mercosur-Staaten nach Europa. Der ehemalige französische Landwirtschaftsminister, Jean Puech, bezeichnete ein Abkommen der EU mit dem Mercosur bereits als „äußerst gefährlich für die Landwirtschaft der Gemeinschaft und die gemeinsame Agrarpolitik“. Tatsächlich kann die EU mit ihren Getreideüberschüssen und Milchmengequoten wenig Interese an einer Öffnung ihrer Märkte für die wichtigsten Exporteure von Getreide, Fleisch und Milchprodukten haben.

Auch auf lateinamerikanischer Seite gibt es Anlaß zur Zurückhaltung. Höchst unterschiedliche Partner haben sich im Mercosur aus unterschiedlichen Motiven zusammengeschlossen. Das Integrationsprojekt ist nicht so sehr der Versuch, eine eigene, sozial und ökologisch verträgliche Wirtschaftsentwicklung voranzutreiben, sondern vielmehr ein Sprungbrett in den Weltmarkt.

Die Kleinbauern werden zum Bauernopfer

Ab dem 1. Januar 1996 soll sich der Mercosur in einen Binnenmarkt für den freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr verwandeln. Noch ist aber gar nicht sicher, ob sich der 1991 in Paraguays Hauptstadt Asunción geschlossene Vertrag überhaupt verwirklichen läßt. Gerade in der Agrarindustrie zeichnen sich größere Konflikte ab. Die großen Agrarunternehmen werden wohl in der Lage sein, sich der wachsenden Konkurrenz anzupassen. Die Kleinbauern werden zum Bauernopfer für den freien Handel. In anderen Branchen sind es vor allem transnationale Konzerne, die bei dem Wettrennen um die Märkte die Nase vorn haben werden.

Getreu dem lateinamerikanischen Trend vertrauen die Akteure im Mercosur blind auf die Marktmechanismen und glauben fest an die dynamisierende Wirkung ausländischer Investitionen. Doch fürchtet die Koordination der Gewerkschaften (CCSC), daß kleinere Unternehmen den Platz für die großen Konzerne räumen werden, was zu immer mehr Arbeitslosigkeit führt. Statt totaler Weltmarktöffnung schlagen die brasilianischen Gewerkschaftsfunktionäre daher erst mal eine regionale Integration vor.

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