Neues Leben entsteht hinter dem Vorhang

Bis zu 700 Kinder kommen pro Monat im Kreißsaal des 100 Jahre alten Sacred Heart Hospitals von Abeokuta in Nigeria zur Welt. Die Hebammen und Krankenschwestern sind die Vermittlerinnen zwischen den traditionellen nigerianischen Geburtsriten und der modernen Medizin  ■ Text und Fotos von Bernd Hartung

Um acht Uhr morgens schallen Gesänge über den Platz des Sacred Heart Hospitals in Abeokuta, etwa 100 Kilometer nördlich von Lagos, der ehemaligen Hauptstadt von Nigeria. Dreimal in der Woche treffen sich hier schwangere Frauen – nicht nur zu Vorsorgeuntersuchungen, sondern auch, um die Schwangerschaft selbst zu feiern, mit Gesang und Tanz die Freude auszudrücken, ein Kind zu bekommen.

Der Versuch, eine Frau im Krankenhaus während ihrer Schwangerschaft bis zur Geburt und Aufnahme des Kindes in die Familie mit der Kamera zu begleiten, schlägt fehl – ihr Mann ist nicht einverstanden. Es bringe Unglück, sagt er, schwangere Frauen vor der Geburt zu fotografieren.

Es ist dennoch möglich, im Krankenhaus Bilder zu machen. Die Männer bleiben draußen. Am Schwesternfenster zahlen sie eventuell notwendige Medikamente, und manchmal erkundigen sie sich durch den grobmaschigen Vorhang hindurch nach dem Befinden ihrer Frauen. Sonst bleibt ihnen nur das Warten. Ein Mann sagt stolz, er warte auf sein zweites Kind, und dabei bleibe es auch, denn er führe eine moderne Familie. Etwas zögernd, aber doch nicht weniger stolz verkündet sein Sitznachbar, seine Frau gebäre gerade Kind Nummer 9.

Drinnen ist wenig Betrieb. Im Moment, sagen die Hebammen und Hilfsschwestern, sei es außergewöhnlich ruhig. Wegen eines Generalstreiks ist kein Benzin vorhanden – und so können die meisten gar nicht ins Krankenhaus kommen. Wer sich das teuere Schwarzmarktbenzin leisten kann, fährt nicht in ein öffentliches Krankenhaus wie das Sacred Heart, sondern in eine Privatklinik.

Nach den Geburten fischen die Hebammen die Plazenta wieder aus dem Müllbeutel für medizinische Abfälle. Den Mutterkuchen, so ist es Brauch, nehmen die Frauen wieder mit, in einem speziellen Tontopf. Die Plazenta kommt wieder in die Erde, aus der das Leben entspringt.