„Wir müssen an die Täter ran“

■ Frauensenatorin Christine Bergmann (SPD) findet einen Perspektivenwechsel bei der Prävention von Gewalt gegen Frauen nötig. Mit dem BIG-Projekt rücken die Täter ins Visier

taz: Seit 1. Oktober hat das BIG zu arbeiten begonnen. Ist das der „Perspektivenwechsel“, den Sie seit der Fachtagung „Präventionsdebatte zur Gewalt gegen Frauen“ im September 1993 propagieren?

Bergmann: Genau. Das BIG ist damals entstanden, es hat also schon eine Vorgeschichte von zwei Jahren. Unsere sechs Frauenhäuser, vier Nachsorgeeinrichtungen und 51 dezentralen Zufluchtswohnungen sind voll ausgelastet, und es kann nicht nur darum gehen, neue Frauenhäuser zu bauen. Wir brauchen erstens Rechtsänderungen, damit die eheliche Wohnung schnell und unbürokratisch der mißhandelten Frau zugesprochen werden kann. Körperverletzung darf nicht länger wie bisher als Antragsdelikt, sondern muß als Offizialdelikt behandelt werden, um die gewalttätigen Männer besser strafrechtlich verfolgen zu können. Es geht zweitens um die Verbesserung der Zusammenarbeit der einzelnen Behörden. Hier läuft schon einiges recht gut. Derzeit wird in sechs Polizeidirektionen per Fragebogen festgestellt, wie häufig Polizisten zu Beziehungsdelikten gerufen werden. Und drittens müssen wir ran an die Täter: sowohl mit besserer Strafverfolgung als auch mit sozialen Trainingskursen, in denen die Männer mit ihrem Verhalten konfrontiert werden und in denen sie gewaltfreie Konfliktlösungen lernen.

Ist hier institutioneller Widerstand spürbar, weil Polizisten, Staatsanwälte und Richter meistens Männer sind?

Das ist von mir aus schwer zu beurteilen. Wenn wir mit ihnen sprechen, sagen sie natürlich, sie tun alles, was rechtlich möglich ist. Aber Träger von Zufluchtswohnungen berichten, daß nur ein kleiner Prozentsatz der Frauen die Ehewohnung vom Familienrichter zugewiesen bekommt. Widerstand in dem Sinne, daß man das Ganze für nicht notwendig hält, den gibt es nicht mehr. Das ist ein Erfolg der Frauenhausbewegung. Frauenhäuser sind richtig und wichtig, aber inzwischen weiß man, daß sie nicht zum Abbau von Gewalt geführt haben.

Aber just aus den Frauenhäusern gibt es jetzt sehr scharfe Kritik an dem BIG-Projekt: Die autonome Frauenbewegung sei nicht bereit, mit dem Staat zu kooperieren. Vielleicht spielt da auch Angst um die Arbeitsplätze in den Frauenhäusern eine Rolle.

Diese Kritik gibt es punktuell, das ist richtig. Da heißt es: Das ist nicht unser Ding, wir sind ganz parteilich für Frauen, und ich verstehe das auch. Aber: Wir machen das Projekt ja im Interesse der Frauen. Nicht weil wir primär an den Tätern interessiert sind, sondern weil wir sie zur Rechenschaft ziehen wollen. Mit den meisten Projekten konnten wir uns darauf auch verständigen. Und Angst um den Arbeitsplatz muß niemand haben. Schön wär's ja, wenn wir mit dem Projekt die Gewalt aus der Welt schaffen könnten. Aber an der Überbelegung der Frauenhäuser wird sich wohl leider so schnell nichts ändern.

„Mannege“ und „Mannsarde“ machen schon jetzt Täterarbeit, doch dafür gibt es in ganz Berlin nur eine einzige halbe Stelle.

Die Stelle ist in der Jugendverwaltung angebunden. Unsere Unterstützung ist nur eine moralische. Aber seitdem wir vor kurzem in einer Plakataktion potentielle Täter auf diese Beratungsstellen hingewiesen haben, werden diese unwahrscheinlich frequentiert. Das zeigt den Bedarf, und das ist ein Punkt, den man im BIG-Konzept mitregeln muß. Wenn wir die Täterarbeit wollen, müssen wir auch die Anlaufstellen für solche Männer unterstützen und auf die Beine stellen. Interview: Ute Scheub