Scharping auf Zwangsdiät

■ Derzeitiger SPD-Chef gesteht: Die Diätenreform ist gescheitert. SPD-Länder bremsen ihren Vorsitzenden aus

Berlin/Bonn (dpa) – Der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping hat gestern eingeräumt, daß die Reform der Abgeordnetendiäten gescheitert ist. Angesichts des Widerstandes der SPD-geführten Länder sagte er in Berlin: „Der eingeschlagene Weg hat sich als nicht gangbar erwiesen.“ Die vorgesehene Ankoppelung der Einkommen von Parlamentariern an Richtergehälter stoße auf Mißtrauen und berechtigte Kritik.

Daraus seien Konsequenzen zu ziehen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse müsse jetzt ein „gangbarer und für die Öffentlichkeit akzeptabler Weg“ gefunden werden, sagte Scharping. Die SPD sei klug genug, sich darauf einzurichten. Scharping geht davon aus, daß der Bundesrat am kommenden Freitag der vom Bundestag vor zwei Wochen mit den Stimmen von Union und SPD verabschiedeten Diätenregelung nicht zustimmen wird. Er teile die Kritik der Länder zwar nicht in allen Punkten, aber er nehme sie ernst. Der SPD- Chef wollte sich nicht dazu äußern, worauf der plötzliche Meinungsumschwung des Herrn Scharping zurückzuführen ist.

Am nächsten Dienstag will nach Scharpings Worten die SPD-Bundestagsfraktion über einen neuen Diäten-Weg beraten. Bereits am Montag wird das SPD-Präsidium in Berlin über das weitere Vorgehen sprechen. Einige SPD-Ländern erwägen, die Bundesratsdebatte über die Diäten zu vertagen.

Die Haltung der SPD in der Sache ist offenbar noch nicht einheitlich. Trend: Von immer mehr SPD-Ländern wird inzwischen die Einsetzung einer unabhängigen Kommission favorisiert, die jedes Jahr Vorschläge über eine Erhöhung der Abgeordneteneinkommen machen soll. Eine solche Regelung wird auch von der FDP favorisiert. Der Vorsitzende der Liberalen, Wolfgang Gerhard, begrüßte Scharpings Äußerung als erfreuliches Einschwenken auf die eigene Linie. In der SPD-Fraktion gibt es wachsende Bestrebungen, die Zustimmung zu den Diätenplänen mit der Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten zu verknüpfen. Dieser Vorstoß war im Bundestag bei der Diätenabstimmung am Widerstand von CDU und FDP gescheitert.

Die Union bekräftigte ihre Absicht, bei einer Ablehnung der beschlossenen Grundgesetzänderung im Bundesrat einen neuen Gesetzentwurf zu den Diäten vorzulegen, der in der Länderkammer nicht zustimmungspflichtig ist. Bei der Diätenerhöhung auf über 15.000 Mark bis zum Jahr 2000 solle es aber bleiben, betonte der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Horst Eylmann (CDU): „Man braucht nicht mehr die direkte Anbindung an die Richterbesoldung festzuschreiben. Wir könnten für die nächsten vier bis fünf Jahre die stufenweise Anhebung der Diäten auf eine konkrete Höhe beschließen, die der Richterbesoldung nahe kommt.“

Ähnlich hatte sich bereits Fraktionschef Wolfgang Schäuble geäußert. Eylmann nannte es ein „Bubenstück“ einiger SPD- Ministerpräsidenten, zu der seit Monaten bekannten Verfassungsänderung zu schweigen und „Scharping so genüßlich ins Messer laufen zu lassen“.

Unterdessen legte der niedersächsische SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Schuhmacher gestern seinem Parteichef den Rücktritt nahe, und zwar noch vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus in zwei Wochen. Mit diesem Schritt könne Scharping vielleicht dazu beitragen, ein Zeichen zu setzen „und somit noch einiges für die SPD zu retten“. Seite 10