■ Eine Schwangerschaftsberatung kann niemals eine „Lizenz zum Töten“ geben. Ein etwas anderes Bischofswort: Die Lizenz zum Abbruch ist für die Frau eine Lizenz zum Leben
Die Abtreibungsdebatte ist auch ein Kampf um Worte. Vor nicht allzu langer Zeit noch, bis in die sechziger Jahre hinein, wurde meistens von Abort statt von Abtreibung gesprochen oder eher geflüstert, und damit war nicht das Klosett gemeint. Abortus ist der medizinische Begriff, der eine Fehlgeburt bezeichnet und – zur Absicherung der Frauen und der Ärzte – im stillschweigenden Übereinkommen auch auf die künstlich eingeleitete Fehlgeburt angewandt wurde und im Volksmund auch nur in dieser Bedeutung verstanden wurde, obwohl dies in der Medizinersprache korrekt Abortus artificialis heißt. (Eine Fehlgeburt ist nicht meldungspflichtig, im Unterschied zur Totgeburt, und bedeutet die Abstoßung eines Fötus unter 1.000 Gramm und weniger als 35 Zentimeter Körperlänge – nach Pschyrembel 1994.)
Abtreiben ist ein technisches Wort, das im Sprachgebrauch voll identifiziert ist mit dem Herbeiführen eines künstlichen Schwangerschaftsabbruchs. Aber es hat praktisch keinerlei emotionalen Gehalt. Die Frau, die abtreiben will, möchte etwas loswerden, vernichten, entfernen. Dieses Etwas ist nun aber nichts Äußerliches, sondern es wächst in ihr und kann ihr aus verschiedenen Gründen eine solche Angst machen, daß sie es nicht haben will. Diese Gründe sind immer sehr konkret, und wenn die Frau zu dem Punkt kommt, daß sie sagt „Ich will das Kind nicht, ich kann es nicht haben“, dann hat sie sich in einer Notwehr-Situation für sich und gegen das in ihr wachsende Etwas entschieden. Dabei hat sie durchaus die gleichen Bilder vor sich, die die sogenannten Lebensschützer gerne verbreiten, die darauf aber kein Monopol haben, obwohl es sehr oft suggeriert wird: Bilder von kleinen Föten, die sich bewegen, deren Gliedmaßen erkennbar sind, ein in seinen Anfängen erkennbarer Mensch.
Und gerade weil sich Frauen das vorstellen, ist die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch nie leicht und nie leichtfertig. Vor allem schon deswegen, weil der Eingriff auch heute noch für sie gefährlich ist. Weltweit sind es jährlich mindestens 500.000 bis eine Million Frauen, die an den Folgen dieses Abbruchs sterben. Obwohl sie sich in ihrer Notwehr-Situation für sich und gegen das Kind entschieden haben, ist das Risiko für die Frauen, selbst das Leben zu verlieren, groß.
Daß sie es dennoch immer wieder eingehen, zeigt das Ausmaß der Notwehr. Die Frau, die abtreibt, kann das Kind sogar wollen, sie kann hinterher davon träumen, sie kann Traumata bekommen. Möglicherweise kann sie vor sich selber den Vorgang nicht mit dem technisch-harmlosen Wort Abtreibung bezeichnen, sondern sie selbst wird ihn Tötung, Mord, Vernichtung nennen. Sie wird es dennoch tun.
Für die Frauen, die abtreiben, sind, das wage ich mal zu behaupten, die Debatten darüber, ab welcher Woche ein Fötus als Mensch bezeichnet werden kann, haarspalterisch. Keine Frau sagt: Ich trage einen nicht lebensfähigen Fötus in mir, sondern sie sagt: Ich erwarte ein Kind. Und dabei ist es egal, ob es zwei Wochen oder vier Monate oder länger in ihr ist. Sie entscheidet sich, wenn sie abtreibt, tatsächlich gegen etwas Lebendiges, das in dem Fall noch nicht von anderen, sondern vollständig von ihr abhängt. In diesem Stadium und nur dann hat sie die Macht, diese Abhängigkeit zurückzuweisen, die sie selbst in neue und unzumutbare Abhängigkeiten zwingt. Was unzumutbar ist, hat sie selbst herausgefunden.
Abtreibungen sind Verteidigungskriege, die Frauen führen, um sich selbst zu behaupten, und, wie schon gesagt, oft sterben sie daran oder haben schlimme Verletzungen. Aber sie tun es doch. Ob sie etwas schon Lebendiges oder erst lebendig Werdendes dabei töten oder vernichten, ist ebenfalls Wortklauberei. Die Frauen wissen, daß die Schwangerschaft ohne ihr Zutun weitergehen würde. Das verhindern sie, meist mit Skrupeln, oft mit Schmerzen, mit viel Überlegungen.
Unsere Urahnen haben die Tiere, die sie töteten, um sie zu essen, um mit ihrem Tod selber leben zu können, mit Jagdzauber gnädig gestimmt. Wie jeder Vergleich, hinkt auch dieser, aber wieder nicht so sehr, weil unsere Vorfahren keinen Wertunterschied zwischen sich und dem Tier machten. Ein Tier zu töten war genauso, wie einen Menschen zu töten. Sie mochten ein gutes Verhältnis zum Tier haben, sie respektierten es und aßen es trotzdem. Wenn sie es töteten, dann deswegen, weil ihr eigener Lebenswille über den des Tieres gesetzt wurde, nicht aus Haß.
Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch treffen ähnlich existentielle Entscheidungen noch heute, auch ohne Aggression. Sie vernichten tatsächlich etwas sehr Konkretes, das nur ihnen und nicht anderen schadet. Die Gesellschaft braucht die Kinder für die Rente. Die konkrete Frau aber hat möglicherweise eben durch das Kind später gar keinen Anspruch auf Rente.
Wenn sich Frauen vor diesem Schritt Rat einholen können bei Leuten, die ihre Gründe erwägen und ihnen eventuell zustimmen, dann treffen dennoch die Frauen die Entscheidung, und sie verantworten diese. Der Rat – oder, neudeutsch: die Beratung – kann einen gewissen Halt geben, kann Gründe vertiefen oder auch andere Alternativen bieten, aber er nimmt ihnen Verantwortung nicht ab. Eine Beratung kann niemals eine „Lizenz zum Töten“ geben, wie bestimmte kirchliche Kreise das neuerdings zu benennen lieben, sondern höchstens die Gründe der Frau respektieren und dies öffentlich vertreten. Die Lizenz zum Abbruch gibt sich die Frau selber, eine Lizenz, die für die Frau eine Lizenz zum Leben ist und von der sie weiß und akzeptiert, daß diese willentliche Entscheidung das Sterben für das Ungeborene bedeutet. Helke Sander
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