Wir sind beinahe waschechte Engländer

Mit Lachen die Wahrheit sagen: In seinem Schelmenroman „Das schwarze Album“ nimmt Hanif Kureishi Londons Pop-Underground und das neue Selbstbewußtsein in der Migrantenkultur in den Blick  ■ Von Mark Terkessidis

In Deutschlands intellektueller Diskussion hat man Hanif Kureishi – gemessen am Erfolg seiner Bücher und Filme – nur wenig zur Kenntnis genommen. In Großbritannien dagegen war er nach dem Erscheinen von Stephen Frears Film „Mein wunderbarer Waschsalon“, zu dem er das Drehbuch schrieb, sofort ein umstrittener, ein unangenehmer Autor. Stuart Hall, der Doyen der britischen cultural studies, schrieb damals: „Dies ist ein Text, der niemandem gefällt. Jeder haßt ihn.“ Das war keineswegs abwertend gemeint. Hall begrüßte die Abwesenheit schlichter Identifikationsfiguren.

Und tatsächlich war Kureishis Darstellung mittelständischer pakistanischer Migranten in London radikal anders als die geläufigen Bildern von Einwanderern. Vergeblich suchte man nach ergebenen Opfern von „Ausländerfeindlichkeit“ oder nach „edlen Wilden“, deren Status als Opfer ihnen moralische Überlegenheit garantierte. Schon die Eingangssequenz zerstörte alle Illusionen: Der pakistanisch-britische Geschäftsmann Salim, „teuer gekleidet, aalglatt und etwas vulgär“, vertreibt zusammen mit zwei Jamaikanern weiße Hausbesetzer brutal aus einem gerade ersteigerten Gebäude.

Der Ambivalenz seiner Texte war sich Kureishi, der 1954 als Sohn einer Engländerin und eines pakistanischen Migranten im Süden von London zur Welt kam, immer bewußt. Die beiden Filme, die er mit Frears drehte (nach dem „Waschsalon“ 1985 kam 1988 „Sammie und Rosie tun es“), betrachtete er als Bestandteile einer vielstimmigen „kulturellen Antwort“ von Theaterautoren und Filmemachern auf die verwirrende britische Situation der achtziger Jahre. Die Zerreißproben, die der Thatcherismus der Gesellschaft zumutete, sollten beschrieben werden, wozu allerdings die traditionellen Raster der Linken nicht mehr taugten. „Die kulturelle Antwort drückte sich nicht in der Sprache eines sozialen Realismus aus. Sowohl die Klischees des Opfers als auch des Helden des Klassenkampfes wurden vermieden“, schrieb Kureishi 1991 in der Einführung zum Drehbuch seines ersten eigenen Films „London kills me“. Es ging um einen anderen, einen fragenden Realismus, der „die Diskussion über die Beschaffenheit des Lebens hier und jetzt in Gang bringen sollte“.

Zu Beginn der Neunziger verfaßte Kureishi einen ersten Roman, „Der Buddha aus der Vorstadt“, dem in diesem Jahr sein neues Werk „Das schwarze Album“ gefolgt ist. Kureishis Stücke und Romane spielen an der Schnittstelle zweier „Welten“, die auch für sein eigenes Leben entscheidend sind – pakistanisch-britische Migrantenkultur sowie Pop- und Polit-Underground.

Jede dieser Welten garantiert in ausreichendem Maße Unsicherheiten. „Der Buddha aus der Vorstadt“ beginnt beispielsweise mit dem Satz: „Ich heiße Karim Admir und bin ein waschechter Engländer – jedenfalls beinahe.“ Nicht daß Admir damit ein Problem hätte, er hält sich keineswegs für eine „komische Sorte Engländer“ oder schlimmer noch eine „neue Rasse“. Dennoch ist er in einer Welt, die sich in homogenen oder ethnohegemonialen Nationalstaaten organisiert, zwangsweise „für immer in dieses Zwischenreich gestoßen“, wie Salman Rushdie in „Mitternachtskinder“ schrieb. So stolpert Admir durch die Konflikte seiner Verwandtschaft zwischen Geldverdienen, Tradition, Emanzipation und den rassistischen Übergriffen weißer Unterschichtsjugendlicher. Zusätzliche Ambivalenzen entstehen aus den vielfältigen sexuellen Orientierungen der Akteure – Omar, der Betreiber des „Waschsalons“, ist schwul, Admir bisexuell – und natürlich aus ihrer Jugend. Der Protagonist des „Schwarzen Albums“, Shahid Hasan, gerade an die Universität gekommen, befindet sich auf der Suche: „Wer würde er wohl heute sein? Wie viele widersprüchliche Persönlichkeiten verbargen sich in ihm? Welches war sein wahres, sein natürliches Selbst? Gab es das überhaupt? Wie würde er es erkennen, wenn er es sah? Hing daran vielleicht ein Echtheitszertifikat?“

Kureishis Romane sind – teilweise äußerst komische – Reisegeschichten durch die zahlreichen „Zwischenreiche“. Wie der von ihm sehr geschätzte Salman Rushdie oder der bei britischen asian intellectuals beliebte Günter Grass schreibt Kureishi moderne Schelmenromane. Karim Admir oder Shahid haben wie die naiven Figuren der Pikaro-Romane des Mittelalters keine Tugend oder Tapferkeit zu bieten, sie werden unfreiwillig in eine Welt geworfen, in der sie sich wohl oder übel zurechtfinden müssen. Dabei benehmen sie sich zwar unheroisch, aber dennoch schreiben sie eine eigene Geschichte ihres mit Cleverness geführten Kampfes. Kureishis Romane spielen in den „niederen Rängen“ der Gesellschaft: Zu den dienenden Klassen und dem ambulanten Gewerbe des Mittelalters bilden Migranten und Subkulturbewohner durchaus heutige Entsprechungen. Und auch Kureishi möchte „Wahrheiten“ in einer „verkehrten Welt“ sagen, ohne sich dabei allzu ernst zu nehmen. Grimmelshausens Motto für den „Simplizissimus“ kann man auch über Kureishis Geschichten schreiben: „Es hat mir so wollen behagen/ mit Lachen die Wahrheit zu sagen.“

Der Grundkonflikt des reisenden Shahid in dem neuen Roman ist die Weiterentwicklung einer Auseinandersetzung, die Kureishi bereits in seinem autobiographischen Bericht „Das Regenbogenzeichen“ skizziert hat. Er schildert dort den Streit zwischen dem kritischen schwarzen Autor James Baldwin und der separatistischen Nation of Islam in den USA der sechziger Jahre.

Dem Pendant zu den amerikanischen Muslim-Aktivisten begegnet Shahid Hasan, der an einem heruntergekommenen College mit einem Asiaten-Anteil von sechzig Prozent studiert, als er durch seinen Zimmernachbarn Riaz zu einer Islamistengruppe stößt. Shahid ist von der Gruppe angetan. Er findet Verständnis für seine Situation im feindseligen England und Anschluß an einen integren antirassistischen Kampf.

Zwar hat er seine Schwierigkeiten mit ihrem völkischen Sendungsbewußtsein und ihrer Gegnerschaft zum entfremdeten Hedonismus des Westens, aber dennoch erkennt er ihren aufopfernden Einsatz für die einfachen Leute an. In einer Szene rettet Riaz Shahid das Leben, als er nach einem Drogenexzeß fast an seinem Erbrochenen erstickt.

Den „Baldwin“-Pol des Konfliktes repräsentiert die „postmoderne“ College-Dozentin Deedee Osgood, in die sich Shahid verliebt. Deedee, ebenfalls im gesellschaftlichen Abseits, verkörpert die Welt der kritischen cultural studies und universitärer Debatten, aber auch von mondänem Metropolenleben zwischen Drogen und gutem Sex. Sie führt Shahid an die Orte der Londoner Popkultur der Jahr

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zehntwende, wo die britische Jugend in zumeist illegalen Warehouse-Raves schwelgt. In Kureishis Werk ist vor allem ein Aspekt der Subkulturen wichtig, der des sozialen Ereignisses. Er beobachtet, wie im Underground beständig alternative Sozialgeschichte geschrieben wird. Zu diesem Teilgebiet seines Interesses hat er im übrigen gerade mit dem Punk-Historiker Jon Savage das monumentale „Faber Book of Pop“ mit Texten aus fünfzig Jahren populärer Musik zusammengestellt.

Um diese beiden Pole und eine Reihe für Kureishi-Romane typischer Nebenfiguren – der hedonistische pakistanische Verwandte, zumeist Vater; der apokalyptisch wirkende Pusher; der verzweifelte Sozialist – entwickelt sich in „Das schwarze Album“ eine atemlose Reihe von Loyalitätskonflikten, die im Streit um die Verbrennung von Salman Rushdies Buch „Die Satanischen Verse“ auf dem Campus gipfelt. Schon in „Das Regenbogenzeichen“ hielt Kureishi den Beitritt zum Islam für einen Irrweg, und auch in seinem neuen Roman gibt er der radikalen Unsicherheit der Metropolenbewohner und der analytischen Kritik der Unterdrückung den Vorzug. Am Ende bleiben Deedee und Shahid nach der dramatischen Konfrontation mit den Islamisten zusammen.

Kureishis pikareske Romane spielen ausschließlich in der Welt der Subkulturen. Der Staat wird abgelehnt oder ignoriert. Wenn er überhaupt vorkommt, so nur in Form einer gewalttätigen Polizei. Die metropolitane Welt, die Kureishi beschreibt, ist radikal kontingent. Will jemand ins scheinbar festgefügte Haus einer Identität einziehen, so nur aus (lebens)strategischen Gründen. Vergangenheiten und Traditionen sind nichts, was man einfach hat, sondern werden je nach Nützlichkeit abgelegt, aufgenommen oder neu erfunden.

In Hanif Kureishis Romanen zeigt sich das neue Selbstbewußtsein der Migranten zweiter Generation. Sie haben keinen Heiligenschein und brauchen keine Toleranz. Sie sind notwendig widersprüchliche Individuen. Und was „Anpassung“ betrifft, so besteht er darauf, „daß es die Briten sind, die diese Anpassung bewerkstelligen müssen“. Brite zu sein, schreibt Kureishi, ist nicht mehr das, was es einmal war. Das bedeutet mehr als die herrschaftlichen Ideen von Integration oder Multikulturalismus. Es bedeutet, daß es für alle kein Leben mehr außerhalb des „Zwischenreichs“ gibt.

Hanif Kureishi: „Das schwarze Album“. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Kindler Verlag, 416 Seiten, geb., 42 DM