Das Observatorium der Kunst

Kunst als Kommunikation begreifen: Anmerkungen zu Niklas Luhmanns großer soziologischer Ästhetik  ■ Von Peter Fuchs

In Europa, in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen, in der Nähe Bielefelds, in ländlich- sittlicher Umgebung, da steht ein Haus, so denk' ich's mir, das eine Terrasse hat, auf der sich ein kleiner kuppelförmiger Aufbau befindet, in dem gerade ein Mann und eine Tasse lauen Tees Platz haben, ein Mann, der durch einen Kuppelschlitz und ein hindurchgeführtes Teleskop und mit der Möglichkeit, die Kuppel langsam kreisen zu lassen, die Weltgesellschaft beobachtet.

Es ist Niklas Luhmann, der von dieser Parzelle aus auf die Welt blickt, ein Beobachter der Gesellschaft von vielen Beobachtern, die wie er unter dem Gesetz der Marginalität aller Beobachtungen der modernen Gesellschaft stehen, die schließlich keinen zentralen Beobachter kennt, niemanden, der für die anderen sagen kann, was es mit der Gesellschaft wirklich auf sich habe. Da aber alle Beobachter peripher beobachten (aus Subsystemen von Subsystemen von Subsystemen heraus), schließt die Konkurrenz der Beobachter nicht aus, daß einige Beobachter der Gesellschaft für viele andere Beobachter besonders attraktiv sind. Niklas Luhmann in seinem ländlich-sittlichen Observatorium ist ein solcher Attraktor. Von dort aus zelebriert er seine Beobachtungs- und Unterscheidungskunst in einer Abstraktionslage, die erwarten ließe, daß deren Ergebnisse in jener Marginalität verblieben, die für die Kommunikation komplexer Beobachtungen typisch ist.

Aber genau das ist nicht der Fall. Nicht nur in der Soziologie (und dort mitunter knurrenden Herzens), nicht nur in den soft sciences werden diese Ergebnisse beobachtet, sondern auch aus den gesellschaftlichen Domänen heraus, mit denen er sich befaßt. Aus Wirtschaft und Recht, Wissenschaft und Erziehung, Intimität, Familie, Religion, Krankheitssystem blickt man verärgert oder fasziniert, immer aber irritiert auf die inkongruenten, seltsam schrägen Perspektiven, mit denen man es zu tun bekommt, wenn man Luhmann beobachtet oder schlimmer noch: von ihm beobachtet wird.

Nun hat er die Kunst der Gesellschaft observiert in einer langen Einstellung, die pointiert, bündelt, modifiziert, was bei kurzen Einstellungen im Lauf der letzten Dekaden schon an der Kunst von ihm gesehen wurde und nicht selten Widerspruch hervorrief. Kunst, so hieß es (und so wird noch oft gesagt), kann nur beobachten, wer ein authentisches Verhältnis zu ihr pflegt, und ebendiese Authentizität lasse Luhmann vermissen. Wenigstens hier sei er blind. Übersehen wird dabei, daß die Behauptung authentischer Beziehungen zu etwas eine soziale Konvention darstellt, mit der Nach- und Rückfragen blockiert werden. Man hat ein echtes Verhältnis zur Kunst, oder man hat es nicht. Basta! Und die Entscheidung darüber, wer ein echtes Verhältnis hat, fällt derjenige, der es hat, der Künstler, wenn er der sozialen Beschreibung eines Künstlers entspricht, und die Phalanx der zartfühlig intellektuellen Kritiker, Wissenschaftler, Connaisseure. Aufregung ist also angesagt, wenn Luhmann aus seinem Observatorium auf das hinschaut, was sich unter seinem Hinschauen plötzlich selbst als ein eigentümliches Observatorium entpuppt.

I

In dem Buch, wovon hier die Rede ist, gibt es viele aufeinander bezogene, aufeinander abgestimmte Unterscheidungen, die sich auf viele aufeinander bezogene, aufeinander abgestimmte Unterscheidungen in vielen Texten Luhmanns beziehen. Es ist schwer, die Unterscheidungen herauszufiltern, mit denen sich das Neue, das überraschende, aber auch die Stringenzen (oder Inkonsistenzen) der Argumentation auf kleinem Raum verdeutlichen lassen. Eine Schlüsselunterscheidung ist jedenfalls die von Wahrnehmung und Kommunikation. Das Bewußtsein (und das Bewußtsein allein) hat es ständig mit Wahrnehmung zu tun, die Kommunikation selbst nimmt nichts wahr. Aus ihr guckt nichts heraus, sie hört nichts, sie spürt nichts, sie riecht nichts, sie hat keine Begierden, sie hat keine wahrnehmungsfähigen Organe. Ihre Synthesen verketten sich in einem dunklen Sack, um den herum es plappert und rauscht und lärmt aus wahrnehmungsfähigen Prozessoren heraus, die man auf sehr kompakte Weise „Menschen“ zu nennen pflegt.

Natürlich kann man über Wahrnehmung reden. Es ist möglich, den Duft von Laub, Milch und Meeressalz zu bezeichnen, die lieben kleinen lächerlichen Menschen am Strand, die Mondpfützen, durch die man stolpert; und es ist nicht im mindesten ein Problem, über die Kommunikation, in der dies bezeichnet wurde (und gerade wieder von mir bezeichnet worden ist), Kommunikation in Gang zu setzen. Aber es ist unmöglich, die wahrnehmungsdurchsetzte psychische Imagination zu kommunizieren, ohne sie durch ein Feld zu schicken, in dem Wahrnehmung nur als Thema, nur in Form der fremden Referenz vorkommt. Darüber kann man dann wieder reden oder bedeutungsvoll schweigen, ohne jemals die Differenz zu

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überbrücken. Redet man über Kunst, so redet man von hergestellten Phänomenen, die den psychischen Beobachter in ein wahrnehmungsrelevantes Arrangement verwickeln, und man könnte meinen, daß die Soziologie auch nur das beobachten wird und beobachtet hat: das System des Darüberredens, den Diskurs der Kunst, die semantischen Regelungen, anhand derer das System des Redens über Kunst festlegt, was historisch jeweils als Kunst bezeichnet bzw. ausgeschlossen werden kann.

Aber darum, nur darum geht es Luhmann nicht. Das wäre zu schlicht gedacht, würde es unmöglich machen, die spezifische Operation der Kunst zu identifizieren. Schließlich ist das Reden über Intimität nicht der Vollzug der Liebe, kann das Reden über Geld den Gerichtsvollzieher kaum zufriedenstellen, wird das Reden über den Glauben allein nicht den Gnadenschatz der Kirche öffnen.

Die Frage ist nicht, wie man über, sondern ob man durch Kunst kommunizieren kann.

II

Man kann es, lautet die Antwort, wenn man sich zur These versteht, daß Kunstwerke selbst Momente der Kommunikation sind, erkennbar zu diesem Zweck verfertigte Ereignisse, hinreichend unwahrscheinliche Dinge, die sich als Mitteilungen von Informationen beobachten lassen, die sozial verstanden werden können, mithin weitere kommunikative Anschlüsse in einem Netzwerk solcher Anschlüsse produzieren. Es ist die Zumutbarkeit dieser Differenz von Information und Mitteilung, die das Kunstwerk zum Moment kommunikativer Autopoiesis macht, der (durch das Objekt stimulierte) Oktroi einer Unterscheidung, die sich in der Frage nach dem „Wozu?“ spiegelt. Durch das „Wozu?“ wird das Kunstwerk zu einem Abtasten freigegeben, das Informationen sucht und aus der Differenz zur Mitteilung (zur Selbstreferenz, zur kommunikativ unterstellten Intention des Kunstwerkverfertigers) einen Anschluß errechnet oder Anschlüsse verwirft. Das Kunstwerk, sagt Luhmann, provoziere Sinnsuche, indem es im Medium des Wahrnehmbaren (und ohne die Sinnführungsfähigkeit der Sprache) so auffällt, daß es das Bewußtsein auf die schwierige Spur des „Wozu?“ bringt, und das gilt auch dann, wenn das Kunstwerk sprachlich verfaßt ist und die Wooorrrrte (als Medium) wahrgenommen werden müssen durch eine Leseverzögerung wie gerade eben.

Kunstwerke sind in diesem Sinne Kompaktkommunikationen. Sie zwingen dazu, wahrzunehmen, wie wahrgenommen wird. Sie zwingen das Bewußtsein dazu, die Richtigkeit, die Angemessenheit, das Verwirrpotential dieser reflexiven Wahrnehmung zu bedenken, und sie erzeugen genau dadurch, da sie als kommunikativ wirksame Wahrnehmungsgegenstände dennoch Rückfragen nicht zulassen, ein soziales Verstehensproblem, offene, immer revidierbare Sinnhorizonte, im Blick auf deren gültige Bedeutung die Beobachter sich nicht parallelisieren lassen. Damit stacheln sie zugleich die Produktion immer neuer Kommunikationen an: neuer Kunstwerke, neuer Kommentare. Das Vehikel der Sinnirritation, die all dies ermöglicht, ist, um es nur anzudeuten, daß sich das Kunstwerk nicht als Einheit beobachten läßt, weil die Beobachtung selbst dekomponiert, aber das (und alles, was daran an Verblüffendem hängt), liest man besser nach bei Luhmann selbst.

III

Von der Annahme aus, daß Kunstwerke Kompaktkommunikationen seien, kommt man zum System, denn das ist es, wovon Luhmann spricht: vom sozialen System der Kunst. Die Kommunikation der Kunst ist die Kommunikation durch Kunstwerke. Diese Kommunikation ist wie alle Kommunikation gesellschaftlich, aber wie die aller Funktionssysteme der Gesellschaft zugleich selbstspezifizierend. Das Kunstsystem spezifiziert sich selbst (mit allen daranhängenden Gedächtnis-, Struktur- und Differenzierungslasten) durch Kunstwerke, die Wahrnehmung modulieren und in der Beobachtung dieser Modulation weitere Kommunikationen anregen. Dabei sind, das muß man gegen mögliche Mißverständnisse festhalten, nicht die Materialitäten der Kunstwerke entscheidend, nicht die Texturen, die Klänge, die Farben, die Stimmen, die Bewegungen der Körper, sondern die Beobachtungen, die sich auf die Beobachtungen richten, die in all dem vorgeführt werden und die sich der Unterscheidung von Information und Mitteilung exponieren. Aber warum mutet sich die Gesellschaft so komplex verschachtelte, so aufwendige Beobachtungsbeobachtungen zu? Was ist das Problem, im Blick auf das ein Kunstsystem der Gesellschaft sich nicht nur ausdifferenzieren, sondern auch halten kann? Oder, vereinfacht gefragt, welche Funktion bedient die Kunst der Gesellschaft?

Nun, sie ist, folgt man Luhmann, damit befaßt, mit ihrer Form der Kommunikation (und sie benutzt dazu Formen), die Nichtbeliebigkeit in der Domäne des Möglichen vorzuführen. Damit setzt die Kunst an der Form von Sinn selber an, die Aktualität und Möglichkeit kombiniert, das aktuell Ergriffene im Horizont anderer Möglichkeiten präsentiert, aus denen heraus sich das je Ergriffene versteht. Kunst unterscheidet Realität und das Imaginäre, sie unterscheidet sich mit dieser Unterscheidung, und sie zeigt, daß das Imaginäre nicht formlos, nicht ungeordnet ist, und sie tut dies an wahrnehmungsfähigen Objekten, die selbst keine Fiktionen, die selbst nicht imaginär sind. Sie dupliziert die Realität so, daß Beobachtungsmöglichkeiten von der fiktionalen Realität auf die reale Realität freigegeben werden, und sie führt dabei vor, daß diese Beobachtung nicht beliebig ist: Sie unterliegt selbst Ordnungszwängen. Kunst ermöglicht die Epiphanie der Welt in der Welt, und weil diese Epiphanie an Beobachtung gebunden ist (also an Form), evoziert sie das, was immer verschwindet, wenn beobachtet wird, weil beobachtet wird, am Rande (aber zentral) mit.

IV

Die Funktionssysteme der Gesellschaft verfügen über Codes, über zweiwertige Schemata, mit deren Hilfe sich das System so kurzschließt, daß es selbst jederzeit entscheiden kann, was in seinen Operationsraum fällt und was nicht. Die Wirtschaft unterscheidet Haben / Nichthaben (Zahlung / Nichtzahlung als entsprechende Operation), die Wissenschaft wahr und unwahr, das Recht Recht und Unrecht, die Religion Immanenz und Transzendenz, das Gesundheitssystem krank und gesund etc. Was ist die Unterscheidung, der binäre Code des Sozialsystems Kunst?

Luhmann bleibt bei der Unterscheidung schön / häßlich, aber staffiert sie mit noch mehr Kontingenz aus. Zunächst ist entscheidend, daß überhaupt ein Code die Differenzierung zu Programmen ermöglicht und daß gewährleistet ist, daß in allen Operationen ein Hintergrund des Stimmig / Unstimmig angezeigt wird. Es kommt, den Eindruck kann man gewinnen, nicht so sehr auf die Bezeichnung des Codes an (sie ist eine Frage des Formulierungsgeschickes), es kommt auch nicht so sehr darauf an, daß das beobachtete System (die Kunst) die Bezeichnungen Schön / Häßlich selbst kaum oder nur widerstrebend oder nur heimlich einsetzt. Vielmehr dreht sich alles darum, das Fungieren eines Codes vorauszusetzen, also die Unterscheidung des Systems von seiner Umwelt im System für die Beobachtung dritter Ordnung operabel zu halten. Für die Unterscheidung Schön / Häßlich bedeutet das, daß sie keine Instruktionen mehr darüber enthält (keine Regeln, keine Rezepturen), mit deren Hilfe sich über die Gelungenheit / Mißlungenheit von Kunstwerken entscheiden ließe. Dieser Code (unabhängig von seiner Formulierung) ist so abstrakt, daß man sich die Frage stellen kann, ob er überhaupt noch der Krücke einer traditionalistischen Bezeichnung bedarf: Er garantiert eigentlich nur noch den Kontingenzspielraum der Operationen, und so könnte man vielleicht und einfacher nur noch von dem „Kunstcode“ sprechen, der einen positiven Wert und einen negativen einander gegenüberstellt, denen man aus mnemotechnischen Gründen Namen geben muß, am besten solche wie Schön und Häßlich, die Gegenhalt in der Geschichte des Kunstsystems finden und zusätzlich gewisse Plausibilität in einem alltäglichen Verständnis von Kunst.

Alle Last der Spezifikation liegt dann auf der Ebene der Programme, und dort findet man dann die aufwendig ausgearbeitete Vorstellung der Selbstprogrammierung des Kunstwerkes, in der Freiheit und selbstgeschaffene kognitive Limitation sich eigentümlich verquicken. Aber auch und gerade das im Buch selbst nachzulesen empfiehlt sich.

V

Natürlich läßt auch dieses Buch Fragen offen. Letzte Worte lassen sich nicht sagen, und Luhmann ist gewiß nicht einer, der die Roma- locuta-Attitüde schätzt, wie sehr sie ihm mitunter angesonnen wird. Es gibt auch in diesem starken Werk souverän plazierte Diffusitäten oder besser: sicher plazierte Aussparungen. Eine davon ist die eben skizzierte: der Hinwegflug über die Bezeichnung des Codes, das lose Festhalten an der Tradition des Schön / Häßlich und die Bereitschaft, hier plausible Alternativen (im Blick auf die Bezeichnung) zu akzeptieren. Es gibt, wie mir scheint, auch theoriegeleitete Überstringenzen, so zum Beispiel den Ausschluß der Annahme, der negative Wert des Codes könne nicht die Verweisung auf die Umwelt sein, auf die Nichtkunst, obgleich man vielleicht sagen könnte: Und wenn? Und wenn es so wäre? Kann ein System einen Theoriefehler machen? Oder kann man nicht auch abweichende und überraschende Entwicklungen annehmen? Das Aus-dem-Ruder-Laufen der Kunst? Einen evolutionären Budenzauber, der nun zwei Künste erzeugt hat, eine leise, an der sich Beobachter orientieren, denen es auf Nachweis der Ordnungszwänge im Bereich des Möglichen ankommt und die genau das genießen und bezahlen, und eine andere, lärmende, die an den Chancen parasitiert, die jenseits dieser Kunst liegen: in der Arbitra

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rität des Möglichen selbst, im Chaos des unmarked space, diesem Prohibitorium der Unterscheidung schön / häßlich?

Aber das sind Neben- und Randfragen, die man auf Fluren von Universitäten im Vorübergehen diskutieren kann, weil das, was darüber entscheidet, eine Gesellschaftstheorie, noch aussteht.

Anders steht es mit der Frage, ob der Theoriezug fruchtbar ist, Kunstwerke als Kommunikationen (als Momente der gesellschaftlichen Autopoiesis) aufzufassen und dies an die Differenz von Wahrnehmung und Kommunikation zu binden. Wenn das so ist (und ich schließe das beileibe nicht aus), dann hat das aber Konsequenzen für die Grenze der Gesellschaft selbst. Man muß die Idee der Kompaktkommunikation nur noch einmal verallgemeinern, und dann ist alles, dem die Unterscheidung von Information und Mitteilung beobachtungstechnisch zugemutet werden kann, dann ist all das operatives Moment der Autopoiesis der Gesellschaft, wenn und insoweit sich Anschlüsse beobachten lassen, die aus dieser Differenz errechnet werden. Das wäre natürlich spannend, weil sich die Modernität der modernen Gesellschaft daran zeigte, daß sie Kommunikation generalisiert weit über Sprache hinaus und beispielsweise laufende Bilder als Mitteilungen von Informationen auffassen kann. Oder das wäre auch deshalb spannend, weil sich seltsame Ähnlichkeiten zwischen der modernen und der archaischen Gesellschaft ergeben, zum Beispiel die, daß die archaische Gesellschaft Baum, Vogelflug und Bocksgekröse sehr wohl als Kompaktkommunikation begreift und daraus komplizierte Anschlüsse und Anschlußstrukturen entwickelt, die uns möglicherweise deshalb faszinieren, weil dadurch die Grenzen der archaischen Gesellschaft so munter und tentativ verschoben werden wie die in unserer Gesellschaft.

Vielleicht könnte man auch sagen, daß es die Zumutung und die Zumutbarkeit jener Differenz ist, die sich evolutionär einschleift und die uns dazu bringt, Kunstwerke wie die Mitteilungen von Informationen zu behandeln, und dann käme alles darauf an, die Entstehung von Katachresen nachzuzeichnen, die sich der Wahrnehmung und deren Differenz zur Kommunikation bedienen. Kunstwerke (und für Musik würde ich das jedenfalls behaupten) wären damit im Blick auf die Autopoiesis des Kunstsystems infrastrukturelle Katachresen, an denen sich Kommunikation so formiert, daß sie selbst als Kommunikationen erscheinen – und nicht als Fleischhammer, Fett oder summarisch modelliertes Lindenholz. Kunst wäre, aber das fügt sich, eine wundervolle Illusion.

Aber ich weiß nicht, ich weiß nicht. Es ist angesichts dieses Buches noch nicht an der Zeit, bedenken- und sorgenvoll das schüttre Haupt zu wiegen. Man wird sich erst einmal und sorgfältig darauf einlassen müssen, jedenfalls dann, wenn man kundig und nüchtern über eine Sphäre reden will, in der das Nüchterne aus guten Gründen nicht immer sehr geschätzt wird. Die Luhmannsche Observation des anderen Observatoriums der Kunst sollte jedenfalls zur Pflichtlektüre vieler Beobachter der Kunst in der Gesellschaft werden, die es für ehrenwert halten, sich kognitive Komplexität auch im Blick auf Kunst zuzumuten. Vielleicht werden dann einige bunt aufgepustete, intellektuelle Sprechblasen angestochen.

Niklas Luhmann: „Die Kunst der Gesellschaft“. Suhrkamp Verlag, 560 Seiten, geb., 78 DM

Der Autor hat mit Niklas Luhmann den Band „Reden und Schweigen“ (Suhrkamp) verfaßt.